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Torstraße 1

Torstraße 1

Titel: Torstraße 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybil Volks
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Leben da draußen« im Institut außen vor blieb.
    An diesem Tag waren sie verabredet, er und Elsa, seit Langem wieder. Es war ausgemacht, dass Elsa ihn am Jonass abholt. In dem Fall nennt er es selbst so. Schlecht möglich, dass er Elsa vorschlägt: »Hol mich nach der Arbeit im Institut ab.« Ungläubig hat Elsa den Namen wiederholt, als sie das erste Mal vom »Institut für Marxismus-Leninismus« gehört hat. Ob es denn sein müsse, hat sie gefragt, dass dieses Haus, sein und ihr Haus, das einst ein Kaufhaus gewesen sei, nun immer nur dieneuen Machthaber beherberge. Und gleich ein ganzes Institut, nur für eine Ideologie gedacht? Also spricht er, wenn er mit Elsa zusammen ist, nie vom Institut, sondern vom Jonass. Es ist ja auch so: Egal wie schwierig es manchmal zwischen ihnen beiden war und ist, über das Jonass können sie immer reden. Über die Stunden, die sie gemeinsam hinterm Verkaufstresen von Vicky gespielt haben, ihre Geburtstagsgeschenke aus der Spielwarenabteilung, über die Weißen Wochen, in denen das Kaufhaus verzaubert war, und wie sie sich zwischen Regalen und Kleiderständern versteckten. Das war ein schönes Spiel. Bis auf das eine Mal, als Elsas Mutter verschwunden war und mit rotem Gesicht aus einer der Kabinen kam. Das durfte er Elsa gegenüber nie wieder erwähnen.
    Bernhard steht im Katalograum der Bibliothek reglos auf einem Fleck und ertappt sich bei einem einfältigen Grinsen. Wenn ihn jemand sehen könnte, wie er hier selig lächelt, als sei ihm ein Engel erschienen.
    Elsa stand vor dem Institut in einem Sommerkleid, weiß mit fliederfarbenen Blumen. Die Schuhe flach, aber Elsa sieht auch mit flachen Sohlen immer aus, als ginge sie auf hohen Absätzen. Die dünne Strickjacke hatte sie ausgezogen und in die Tasche gestopft. Da konnte man ihre gebräunten Arme sehen, die runden, weichen Schultern. Und ein bisschen geschminkt hatte sie sich, das machte ihre Augen noch größer. Der Pförtner sah wohl das Gleiche wie Bernhard an jenem Nachmittag, und es gefiel ihm ebenso. Er zwinkerte ihm zu und sagte: »Na, willste deiner Schwester mal das Haus zeigen? Dann drück ich ein Auge zu.« Bernhard wollte nicht, aber Elsa zappelte aufgeregt mit den Händen, um ihm zu signalisieren, dass sie sehr wohl wollte, oh ja. Darauf hatte sie von Anfang an gedrängt, dass er sie endlich mit in ihr Haus nähme. Und sein Einwand, er könne sie schlecht in der Tasche am Pförtner vorbeischmuggeln, war dahin.
    Elsa mochte sie nicht, die engen Büros, wo früher weite Hallen waren, die Bilder von Pieck und Marx und Lenin an den Wänden, die Neonleuchten und Blümchentapeten. Sogar den Geruch monierte sie, als verströmten die Kämpfer für Frieden und Sozialismus einen besonders abstoßenden Odem. Irgendwann wurde es ihm zu viel mit dem Gestichel, und er gab ihr zu verstehen, dass es ihr Wunsch gewesen war, hierherzukommen, an diesen Ort, der nun sein Arbeitsplatz war, und dass sie aufhören solle, sich über alles und jedes zu erheben. Richtig wütend ist er geworden. Zumindest so lange, bis sie sagte: »Du hast recht, das bleibt unser Haus, und ich bin froh, dass du hier sein kannst.« Ihm einen Kuss auf den Mund drückte – das hatte sie seit jenem Weihnachtsabend nicht getan – und hinzufügte: »Für mich wird das Jonass immer wundervoll sein, genau wie du.«
    Da wandte er ihr den Rücken zu, damit sie seine Verlegenheit nicht sah, und ging voraus in die Bibliothek. Die Bibliothekarin packte schon ihre Tasche und war ungehalten, dass noch jemand kam, nur für ein Besichtigungsprogramm. Elsa schien ihr auch nicht zu gefallen, die sah in ihren Augen sicher wie ein bunter Vogel aus und machte nicht den Eindruck, als wäre sie daran interessiert, etwas über die Forschungen zum Marxismus-Leninismus zu erfahren. Ihn allerdings mochte sie schon, die Bibliothekarin, und sie konnte ihm nur selten etwas abschlagen. Er setzte sein gewinnendstes Lächeln auf und erklärte Elsa zu einer Kollegin, mit der gemeinsam er ein Thema bearbeite. Eine Uraltfreundin der Familie sei sie außerdem, schon die Eltern hätten sich gekannt und seien noch immer gute Freunde. So lullte er die Bibliothekarin ein, die allerdings ausgerechnet an diesem Tag pünktlich gehen musste, weil das Kind abzuholen und noch einzukaufen sei. Also einigte man sich darauf, dass ausnahmsweise und nur weil es sich hier um Bernhard Glaser handle, dem sie voll vertraue, die Bibliothek noch ein bisschenoffen bleibe. Wenn Bernhard später abschließen und

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