Torte mit Staebchen
die Zimmer, hörst du? Das Tier schleppt uns bloß Krankheiten ein.«
»Jippi!« Inge vollführte einen Indianer-Freudentanz um den Karton. Und über den Zugang zu den Wohnräumen war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Inges Schlafcouch stand schließlich nicht imselben Zimmer wie das Bett ihrer Eltern. Aber zuerst musste sie sich mit dem Mäusejäger anfreunden. Hier gab es keine Milch. Was konnte sie ihrem Glücksbringer anbieten?
»Ich bring dir einen Fisch aus der Markthalle mit, ja?«
Der kleine Kater reckte ihr zustimmend das weiße Kinn entgegen und maunzte treuherzig aus seiner Kartonecke. Offenbar hatte er bereits verstanden, an wen er sich halten musste.
Neujahr auf Chinesisch
Februar 1939 – Jahr des Hasen
兔
Frau Finkelstein gönnte sich jetzt manchmal eine Tasse Kaffee im Vorderhaus. Auch sie schien allmählich zu begreifen, welchen »Massel« sie hatten, dem überfüllten Hongkou entkommen zu sein und bei den Fiedlers Arbeit und Unterkunft gefunden zu haben.
Das »Café Federal« war Treffpunkt und Informationsbörse zugleich. Aus dem zweisprachigen »Shanghai Jewish Chronicle« erfuhr sie die neuesten Nachrichten aus der Emigrantengemeinde oder schnappte von den internationalen Gästen die neuesten Gerüchte auf.
Da waren die Weißrussen, die vor den Bolschewiken geflohen und schon länger in der Stadt waren. Das Caféhaus war für sie der Ort, wo man bei Tee und Torte das Leben in Moskau oder Sankt Petersburg heraufbeschwören konnte, in dem sie alle so viel einflussreicher, bedeutender, wohlhabender gewesen waren. Auch hochrangige japanische Militärs gehörten zu den Stammgästen und bewiesen eine erstaunliche Leidenschaft für Strudel. Und natürlich stillten die in Schanghai ansässigen deutschen Geschäftsleute hier ihr kulinarisches Heimweh. Es konnte also passieren, dass Herr Finkelstein in der Backstube Torten undSahneschnittchen für überzeugte Nationalsozialisten herstellte, die ihm das in Deutschland längst untersagt hätten.
Die Engländer und Amerikaner aus der Nachbarschaft gingen lieber zum High Tea ins »Burlington«. Allerdings stattete die Journalistin Emily Hahn dem Café regelmäßige Besuche ab, und zwar wegen Mr. Mills’ Leidenschaft für Apfelkuchen. Es war jedes Mal eine Sensation, wenn die elegant gekleidete junge Amerikanerin mit dem dunklen Bubikopf ihren Gibbon mitbrachte, den sie in einem teuren Kinderbekleidungsgeschäft nach der neuesten Mode ausstaffierte. Der Affe stahl ihr dann mit langen, spitzen Fingern die Äpfel vom Kuchen.
In dieser bunten Gesellschaft konnte Frau Finkelstein stundenweise ihre Sorgen vergessen und blühte langsam wieder auf. Eines Nachmittags Mitte Februar kam sie gestärkt vom Kaffee und angeregt vom Gespräch mit einer anderen Emigrantin ins Hinterhaus zurück.
»Inge, wir müssen uns jetzt ernsthaft um deine Schule kümmern. So geht das nicht weiter.«
Damit meinte sie offenbar, dass Inge ihre Zeit vorwiegend mit Sanmao und der Erziehung von Laifu verbrachte. Letzterer hatte sich, wie alle Katzen, als unerziehbar erwiesen, wusste aber seinerseits sehr wohl, wie er »seinen Menschen« um die Kralle wickeln konnte. In kalten Nächten machte er sich durch leises Kratzen an Inges Tür bemerkbar. Dann ließ sie ihn ein, und er kuschelte sich zu ihren Füßen ins Bett, ein Arrangement, das in der ungeheizten Dachkammerbeiden zugutekam. Sie musste nur zusehen, dass sie ihn morgens rechtzeitig wieder entließ, damit die Eltern nichts merkten.
»Eben habe ich mich mit einer Frau unterhalten, deren Kinder auch in diese Kadoori-Schule gehen. Offiziell heißt sie Shanghai Jewish Youth Association School. Wusstest du, dass die hier ganz in der Nähe ist, in der Seymour Road.«
»Na klar, wenn du öfter mit in die Markthalle gehen würdest, hättest du das auch gewusst«, gab Inge zurück. Als furchtloser Erkunder hatte Inge das schnell herausgefunden. Schließlich lag das »Café Federal« an der Ecke Seymour Road, und wenn man von der Markthalle nur ein kleines Stückchen weiterging und die nächste große Straße, die Avenue Road, überquerte, kam man zur Ohel-Rachel Synagoge. Diesem prächtigen Gebetshaus im europäischen Stil, das Mr. Kadoori zu Ehren seiner Frau hatte erbauen lassen, war eben jene Schule angeschlossen, die ihnen bereits in der Beratungsstelle des Embankment Building empfohlen worden war. Aber das hatte Inge ihren Eltern natürlich nicht auf die Nase gebunden.
»Gleich morgen gehe ich da hin und melde
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