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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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für eine deutsche Hausfrau bedeutet, in so einem Loch, in so einer Stadt zu leben!«
    Wie kann man sich nur so anstellen, dachte Inge und war sich plötzlich ganz sicher: Wenn die Tatsache, eine deutsche Hausfrau zu sein, dich daran hinderte, spannende Abenteuer in fremden Ländern zu erleben, dann wollte sie lieber keine werden. Bloß gut,dass Papa nicht da war, der würde bloß wieder ein schlechtes Gewissen kriegen.
    »Ich lauf nur schnell ins Vorderhaus. Bin sofort wieder da.« Gleich darauf ertönte ihr Pfiff.
    Natürlich wusste man dort Rat   –
xiǎng bànfǎ
– Chinesen fanden immer eine Lösung. Frühlingserwachen kramte eine rostige Mausefalle hervor, in der ein Stück Speckschwarte befestigt wurde. Sanmao half ihr, die Falle zu spannen, und gemeinsam versenkten sie sie unter der Kommode. Im Verlauf dieses Manövers, bei dem die Koffer beiseitegerückt werden mussten, gelang der Maus die Flucht. Sie entwischte durch die Tür. Insgeheim war Inge heilfroh. Die Falle ließen sie zur Beruhigung der Mutter unter der Kommode stehen.
     
    Inge machte sich allmählich Sorgen um die Mutter. So beherzt sie in Brandenburg Schiffspassagen besorgt und die Freilassung ihres Mannes betrieben hatte, so passiv und deprimiert reagierte sie nun auf die neue Umgebung. Alles fand sie schrecklich, jammerte andauernd und verließ kaum den schützenden Bezirk des Hinterhauses. War das Heimweh? Oder Hüttenkoller? Oder Angst vor der Fremde?
    Selbst der Einkauf in der nahe gelegenen Markthalle an der Seymour Road war ihr zu viel.
    »Der Dreck und dieser Gestank, das ist ja unerträglich!«, hatte sie von vornherein erklärt. Außerdem hatte Frau Schwab ihr den Floh ins Ohr gesetzt, dass man dort übers Ohr gehauen wurde.
    Na klar, dachte Inge, wenn sich die Langnasen so blöd anstellen. Seither hatte Inge das Einkaufen übernommenund sich von den chinesischen Hausfrauen die richtigen Methoden abgeschaut.
    Auch zum Kochen konnte Frau Finkelstein sich nur selten aufraffen. Dazu musste man nämlich den kleinen Kohleherd auf dem Treppenabsatz anwerfen. Zugegeben, es war schwer, ihn in Gang zu bringen. Er wurde mit runden Briketts gefüttert, und bis die richtig zum Glühen kamen, musste man ihnen mit einem Fächer Luft zufächeln. Das war meist Inges Aufgabe, die sie sich unterhaltsamer gestaltete, indem sie vorgab, eine vornehme chinesische Dame zu sein, die sich mit einem elegant bestickten Seidenfächer Kühlung verschafft. Inzwischen war sie auch Meisterin im Backen von Briketts. Dazu wurde Kohlenstaub mit Wasser angerührt   – eine herrliche Matscherei, die man sonst nie ungestraft hätte veranstalten dürfen. Den schwarzen Brei presste man dann in einer Art Waffeleisen zu Briketts, die anschließend in der Sonne trockneten.
    Im Café der Fiedlers zu essen oder eines der zahlreichen anderen westlichen Lokale der Gegend   – das »Snow Garden«, das »Resi Seitz« oder das Restaurant im »Burlington«   – zu besuchen, wäre auf die Dauer viel zu teuer gewesen. So lebten sie meist von den Tüten aus Keksbruch und Kuchen vom Vortag, die der Vater von der Arbeit mitbrachte. Gegen diese Diät hatte Inge nichts einzuwenden. Und sie hatte längst Mittel und Wege gefunden, sie auf eigene Faust zu ergänzen.
    Das tat sie an den Imbissständen im Umkreis der Markthalle. Für ein paar Mao besorgte sie sich Lauchpfannkuchen, die man aus der Hand aß, eine Schale heiße Nudelsuppe oder ein Stück gebratenen Rettichkuchen.Das war ihr
squeeze
oder
cumshaw
, der Nachlass, den die chinesischen Bediensteten durch geschicktes Feilschen den Markthändlern abhandelten und für sich behielten.
    Dennoch versuchte Inge immer wieder, die Mutter aus ihrer Höhle zu locken, zum Beispiel, indem sie vorgab, nicht zu wissen, was sie aus dem reichhaltigen Gemüseangebot nach Hause bringen sollte.
    »Mama, komm doch mal mit in die Markthalle. Da gibt’s so viel Grünzeug, das ich nicht kenne.«
    »Frag Frühlingserwachen, die kennt sich aus.«
    »Aber du musst doch was draus kochen. Also musst du es dir ansehen«, argumentierte Inge. Der Hinweis auf die Essenszubereitung traf Frau Finkelstein an einem wunden Punkt; dass sie nur so selten für ihre Familie kochte, bereitete ihr, der guten deutschen Hausfrau, ein schlechtes Gewissen.
    »Na gut«, willigte sie schließlich ein, »geh ich halt mal mit.«
    Doch so einfach war das nicht. Um das Haus zu verlassen, musste Frau Finkelstein sich erst »zurechtmachen«, wie sie das nannte. Die Tochter wollte

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