Torte mit Staebchen
hinaufpolterte, hörte sie oben Kichern und Tuscheln. Als sie dann die Tür zum Ess-, Wohn- und Schlafzimmer öffnete, schallte ihr ein vielstimmiges »Happy Birthday« entgegen. Das war offenbar das Lied gewesen, auf das sich ihre internationalen Gratulanten hatten einigen können. Aufgereiht standen sie mitten im Zimmer: Frühlingserwachen mit einem großen kantigen Paket in der Hand, Mutter mit einem eher weichen, das Päckchen des Vaters enttarnte Inge mit kundigem Blick sofort als Buch; Herr Fiedler hielt einen Teller mit frischen Eclairs vor sich, und Sanmao stand mit leeren Händen, dafür aber mit breitem Grinsen da.
Frühlingserwachen ergriff als Erste das Wort: »Heute ist besonderer Geburtstag, Ying’ge. Du bist zwölf, einmal durch chinesische Tierkreis, erste Runde geschafft! Für nächste Runde in China du brauchst eigene Lexikon.« Damit drückte sie Inge das schwere Paket in den Arm.
»Oh, Frühlingserwachen … Danke« war alles, was Inge herausbrachte.
Die Mutter hatte ihr eine Bluse genäht; nicht wie die langweiligen Schulblusen in strengem Weiß, sondern in einem lustigen Blümchenstoff.
»War mal ein Sommerkleid von mir«, gestand sie Frühlingserwachen.
Das Päckchen von Vater entpuppte sich tatsächlich als Buch, und zu Inges großer Freude und Verwunderungwar es ein leicht ramponierter »Nesthäkchen«-Band. Sie liebte diese Serie, in die sie sich stundenlang versenken konnte, und in Schanghai war so ein Buch eine echte Kostbarkeit.
»Wo hast du das aufgetrieben, Papa?«
»Auf dem Flohmarkt in Hongkou«, sagte er nicht ohne Stolz. »Das Buch ist bestimmt um die halbe Welt gefahren, so wie wir.« Alle sahen ihn erstaunt an. Offenbar ging auch Herr Finkelstein manchmal eigene Wege.
Herr Fiedler verteilte seine Eclairs auf die bereitgestellten Teller.
»Die mag unser Geburtstagskind, wenn ich mich recht entsinne«, meinte er schmunzelnd. »Mein Gott, das ist jetzt auch schon wieder anderthalb Jahre her. Seitdem bist du ein richtiges kleines Fräulein geworden.«
Inge war völlig geplättet von so viel Zuwendung. Mal sehen, was Sanmao auf Lager hatte.
»Hmm … äh …« Er druckste absichtlich ein wenig herum und hob dramatisch die Schultern, um die Spannung noch etwas zu steigern, dann verkündete er: »Mein Geschenk ist eine Einladung. Eine Einladung ins Canidrom.«
Inge sah ihn völlig entgeistert an. »Was ist denn das?«
»Noch nie von der Schanghaier Hunderennbahn gehört?«
Dass Pferde um die Wette liefen, wusste Inge, schließlich kam sie auf dem Schulweg tagtäglich an der Pferderennbahn vorbei, aber Hunde?
»Lass dich überraschen. Der Vater von einem meiner Schulkameraden arbeitet dort. Ich werde dir alles zeigen, auch die Hundezwinger.«
»Wann? Morgen?«
»Ja, morgen ist gut. Mittwochs gibt es Rennen, aber wir gehen schon vorher hin und schauen uns hinter den Kulissen ein wenig um.«
Inge war selig. Jetzt war aus dem Tag, der so öde begonnen hatte, doch noch ein schöner Geburtstag geworden, mit einer richtigen Party. Was hatte sie doch für ein Glück, dass sie zweimal im Jahr ein Jahr älter wurde!
Tags darauf ertönte, kaum dass sie von der Schule zurück war, der Pfiff, den sie schon sehnlich erwartet hatte. Sanmao erwartete sie im Hof.
»Wir können zu Fuß gehen, es ist nicht weit. Das Canidrom liegt im Luwan-Bezirk in der Französischen Konzession, weil so was im International Settlement verboten ist.«
»Wieso, was ist denn so schlimm dran, wenn Hunde rennen?«
»Das Schlimme sind nicht die Hunde, sondern die Menschen, die hohe Wetten auf sie abschließen. Da wechselt sehr viel Geld den Besitzer, und es gibt immer mal wieder Ärger.«
Sie folgten der Avenue du Roi Albert, wie die Seymour Road in der Französischen Konzession hieß, in Richtung Rue Lafayette. An der nächsten Kreuzung sahen sie das riesige Oval des Stadions und davor den Turm des modernen Clubhauses aus weißem Beton.
»Ins Clubhaus können wir nicht rein, da gibt es Ballsäle, Restaurants und Bars. Wir nehmen den Hintereingang, da, wo die Hundezwinger sind, und von dort gehen wir auf die Tribüne.« Sanmao schwenkte zwei Eintrittskarten.
Weiter die Mauer entlang, kamen sie an ein Tor, an das Sanmao in raschem Stakkato klopfte; offenbar war er nicht zum ersten Mal hier. Den kleinen, älteren Chinesen, der ihnen öffnete, überschüttete Sanmao mit einem Schwall aus Schanghai-Dialekt, in dem Inge nur die Worte: »Mr. Hutchinson«, »Freunde« und »Hunde« ausmachen
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