Torte mit Staebchen
konnte.
Der Chinese nickte kurz und schlurfte ihnen voran zu den Zwingern. Die hätten sie auch ohne Führer nicht verfehlen können, denn von dort kam vielstimmiges Winseln, Jaulen und Bellen. Als sie aus der grellen Sonne in den Schuppen mit den Reihen von Maschendrahtverschlägen traten, war Inge zunächst überwältigt von all dem Krach. Als sich ihre Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, erkannte sie langbeinige, nervöse Geschöpfe mit kurzem, glattem Fell und erschreckend dünner Leibesmitte. Schmale Köpfe mit spitzen Schnauzen wandten sich wachsam nach den Eintretenden um. Aufgeregt drängten sich die Tiere gegen die Gitter oder sprangen daran hoch. Als sie jedoch merkten, dass es Unbekannte waren, die mit ihrer »Arbeit« nichts zu tun hatten, verloren sie sofort das Interesse. Man hatte ihnen bereits Leibchen mit den Startnummern um die ausgezehrten Körper gebunden, und sie schienen ganz auf das Bevorstehende konzentriert. Inge dachte, dass es hinterder Bühne eines großen Opernhauses auch nicht anders zuginge: lauter sensible Operndiven mit Lampenfieber.
»Solche Hunde hab ich noch nie gesehen.«
»Das sind Greyhounds, eine Windhundart. Sie kommen ursprünglich aus England, werden jetzt aber auch hier gezüchtet. Wenn so ein Hund die richtigen Anlagen mitbringt, kostet er ein Vermögen und kann auch eines einbringen. Man braucht gute
guānxi
, um hier reinzukommen. Schließlich könnten wir einem dieser Champions eine vergiftete Wurst füttern.«
»Wieso sollten wir das tun?« Inge sah ihn entsetzt an.
Sanmao zuckte mit den Schultern. »Um einen Konkurrenten auszuschalten oder die Wetten zu manipulieren.«
Langsam begriff Inge, dass es hier um wesentlich viel mehr ging als um ein harmloses Besucherspektakel. Plötzlich taten ihr die Tiere leid, die so ganz in den Dienst menschlichen Gewinnstrebens gestellt waren.
Sanmao, der ihre Gedanken zu lesen schien, schob sie an den Schultern aus dem Schuppen in Richtung Tribüne.
»Das da drüben sind die Schalter der Wettbüros.«
Vor den Fensterchen drängten sich Chinesen, die nicht weniger aufgeregt wirkten als die Hunde. Sie schrien, wedelten mit Listen und Geldbündeln und zogen nervös an ihren Zigaretten und Zigarren. Es waren zwielichtige Gestalten mit weißen Hemden und Hosenträgern, Bärtchen und pomadiertem Haar.
Sanmao zeigte dem Platzanweiser seine Karten, und sie nahmen ihre Plätze auf der Tribüne ein, schmaleHolzbänkchen ziemlich weit oben, aber immerhin. Von hier aus konnte Inge das gesamte Oval der Sandbahn überblicken. Eine knisternde Lautsprecherdurchsage hallte über den Platz.
»Pass auf, da kommen sie.« Sanmao deutete in Richtung Start- und Ziellinie, wo jetzt die Hundetrainer ihre Schützlinge in die Boxen führten, aus denen sie starten würden. Dann knallte ein Schuss, und die Türen der Boxen öffneten sich. Acht Hunde schossen gleichzeitig nach vorn und jagten einem braunen Etwas nach, das vor ihnen über die Bahn raste.
»Was ist denn das?«
»Das ist der künstliche Hase, bloß ein Stück Fell. Sonst würden die Hunde ja nicht losrennen.«
»Die müssen ziemlich blöd sein, wenn sie sich jedes Mal von Neuem was vormachen lassen«, bemerkte Inge. Sie musste an ihren Laifu denken, der, als sie zum Spielen eine Papierkugel an einem Gummiband befestigt und damit herumgewedelt hatte, nach kurzer Beobachtung ihre Hand als Quelle der Bewegung ausmachte und diese anstatt des Spielzeugs ansprang.
Die Tiere waren jetzt nur noch ein Gewirr aus Beinen und geifernden, vorgereckten Schnauzen, sie legten die Distanz von knapp fünfhundert Metern in einem so atemberaubenden Tempo zurück, dass das Ganze innerhalb weniger Minuten vorbei war.
»Jetzt hat jemand viel Geld verdient«, sagte Sanmao, als die vor Erschöpfung zitternden, schweißnassen Hunde vom Platz geführt wurden.
So ging das noch ein paar Mal, und Inge wurde dieSache allmählich langweilig, als Sanmao plötzlich sagte: »Achtung, jetzt wird’s lustig.«
Die Hunde, die nun hereingeführt wurden, hatten kleine Sättel umgeschnallt, auf denen winzige Geschöpfe in gestreiften Blousons und Jockeymützen hockten. Inge beugte sich vor, um besser zu sehen.
»Oh, Sanmao, das ist ja Mister Mills!« Inge meinte den gut gekleideten Affen aus dem »Café Federal« wiederzuerkennen. Er war schon lange nicht mehr zum Apfelkuchenessen gekommen.
»Das glaube ich kaum, dazu ist der zu vornehm. Das sind Affenjockeys. Eine neue Attraktion, die sich die Rennleitung
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