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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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seiner Mutter.
    »Ihre Mutter?« fragte Vavra ungläubig.
    Holt biß sich auf die Lippen. »Meine Schwester.«
    Es schien ganz so, als wäre es Holt unangenehm, als Hetero entlarvt worden zu sein. Würde er damit vielleicht seine berufliche Laufbahn gefährden, überlegte Vavra, der sich das gut vorstellen konnte: Karrierestopp für Heteros.
    Jetzt schwamm Vavra obenauf, zeigte sich großmütig, legte Holt die Hand auf die Schulter. Und wollte damit gesagt haben, daß es ihn wirklich nicht störe, wenn Holt es mit Frauen trieb. Die Sache würde unter ihnen bleiben, versteht sich.
    Vavras Hand auf der Schulter dieses Mannes wirkte fremd, glitschig, mehr wie ein schleimiger Kopffüßer denn wie eine Hand. Er nahm sie herunter. Man brauchte nicht zu übertreiben, sagte er sich. Dann sah er hinüber zu Liepolds Wohnung. Und weil das wohl der richtige Moment war, erwähnte er die eingetretene Tür.
    »Tut mir leid. Aber Sie haben ja nicht aufgemacht.«
    »Woher wußten Sie eigentlich«, fragte Vavra, »daß ich bei der Liepold eingezogen bin?«
    »Von der Mutter natürlich. Die hat es mir am Nachmittag erzählt. Und dann habe ich das Gebrüll im Stiegenhaus gehört und mir denken können, daß Sie endlich nach Hause gekommen sind. Ich hatte es ja schon einmal versucht.«
    »Trotzdem. Die Tür ist hin.«
    Eigentlich war bloß das Schloß beschädigt worden. Aber Holt zeigte sich einsichtig und versprach nicht nur eine Reparatur, sondern eine Erneuerung der ganzen Tür. Woraufhin Vavra sich verabschiedete und auf den Gang trat. Holt blieb zurück wie ein Rechtsbrecher, der noch einmal davongekommen war.
    Ingrid Liepold stand im Vorzimmer. Trug wieder ihre Sportkleidung. Vavra lehnte die Tür an, legte die Kette vor.
    »Was war das?« fragte sie.
    »Ein Mißverständnis.«
    »Der Mann muß verrückt sein, durch die geschlossene Tür zu kommen.«
    Vavra gab sich jovial, sprach von einer psychischen Anspannung des neuen Mieters. Beziehungsprobleme. Auch seine Mutter und seine Schwester spielten eine Rolle. Dafür werde die Tür aber vollständig renoviert. Vavra riet ab, den Fall zu melden, bei wem auch immer.
    »Ich werde mich hüten«, bewies Liepold eine gesunde Skepsis gegenüber Behörden, die sich bei einer alleinstehenden Frau ohnehin nur für Geheimprostitution interessierten.
    »Und Ihre Mutter?’«
    »Sie atmet. Sie wütet. Sie droht mit Enterbung. Jetzt liegt sie im Bett. Soll sie mich enterben, ich überlebe dieses Weib sowieso nicht. Es gibt Leute, die werden zweihundert und älter. Wußten Sie das?«
    »Zweihundert?«
    »Das ist kein Spaß«, sagte Liepold und ging in ihr Zimmer.
    Als Vavra endlich im Bett lag – zwar todmüde nach diesem nicht ganz einfachen Tag, dennoch unfähig, den Weg in den Schlaf auszumachen –, fragte er sich, wie das alles zu verstehen sei. Warum hatte die Polizei ihn laufenlassen, und warum war sein Name in den Medien ungenannt geblieben? Warum hatte man den Einsatz, der zu seiner Festnahme führte, als polnischen Überfall getarnt? Warum war die Leiche tatsächlich an jenem Ort aufgefunden worden, den er aus dem Nichts heraus angegeben hatte? Wie konnte der angeblich so ausgekochte Hufeland derart schlecht informiert sein? Und zuletzt: Warum hatte Frau Ingrid Liepold sich vor ihm ausgezogen? Daß dies einzig Ausdruck ihres tänzerischen Ehrgeizes gewesen sein sollte, konnte er sich nicht vorstellen. Eine Frau war nicht einfach bloß ehrgeizig, um irgendeine Kunst voranzutreiben. Was führte sie im Schilde?
    Über dem Gedanken an das, was man eine normale, gesunde Sexualität nannte, brach Vavra zusammen und rutschte solcherart doch noch in einen kurzen Schlaf, bevor er vom unmäßigen Geläute eines hinter der Gardine versteckten Weckers zurückgeholt wurde. Frau Grabow war eine passionierte Frühaufsteherin. Daß ihre Tochter immer wieder in den Tag hineinschlief, war ihr ein weiterer Beweis für die Verdorbenheit dieses Menschen, der so sehr dem Vater nachgeriet. Aber dagegen konnte sie nichts tun. Ingrid hatte das Heft in der Hand und hielt es schützend über den eigenen Schlaf und andere egoistische Regungen. Bei Vavra lag der Fall anders. Weshalb sie denselben Wecker, mit dem sie früher ihre Schwester täglich aus dem Schlaf und schlußendlich in den Tod geläutet hatte, nun auch einsetzen konnte, um den neuen Untermieter zu disziplinieren. An die Vorfälle der letzten Nacht konnte sie sich nicht mehr erinnern, auch wenn das Erscheinen Vavras, der nun ins Zimmer trat und

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