Tortengraeber
sehr wohl tat. Vavra vernahm die Schritte auf den knirschenden Fliesen, so als ginge einer über Eis. Vavra atmete jetzt rückwärts. Was nichts nutzte. Denn das erwartete Grausen verwirklichte sich in Form einer kräftigen Männerhand, welche durch den Spalt zwischen Kabinenrand und Vorhang in das Innere drang. Eine Klaue mit einem Oberschenkel von Unterarm. Auf den Fingern steckten schlichte, aber massive Ringe. Die Hand näherte sich dermaßen kontinuierlich, daß man meinen konnte, ein simples Experiment sei im Gange. Vavra wurde am Mantelkragen gepackt. Die Faust drehte sich, so daß der Stoff, der ganze Mantel sich spannte und Vavra allein im Zuge dieser Spannung nach vorne kippte, aus der Dusche herausstolperte und wohl auch gefallen wäre, hätte der andere ihn nicht weiterhin am Kragen gehalten, den Arm gestreckt, als präsentiere er etwas, das nicht mehr ganz frisch war.
Bei ihrer ersten Begegnung war Vavra nicht aufgefallen, wie kräftig dieser Mann war. Auch daß sein linkes Ohrläppchen aussah, als sei ein Goldzahn darin steckengeblieben. Der kümmelfarbene, recht kurz geschnittene Bademantel freilich war ihm durchaus vertraut, auch der unfreundliche, arrogante Blick durch die Brille, die das längliche Gesicht kreuzte. Dennoch war Vavra erfreut, daß es Mag. Holt war, der ihn, wie man so sagt, am Krawattl gepackt hatte. Der Holt war kein Killer. Soweit war sich Vavra sicher, nicht bei einer solchen Visitenkarte.
Was Holt betraf, hatte Vavra recht, allerdings unterschätzte er jene, zumindest international tätigen Berufsmörder, denen ästhetisch ansprechende, primär über die Form oder eine sprachtechnische Verwegenheit sich mitteilende Visitenkarten so wichtig waren wie ein zeitgemäßes, solides Handwerkszeug.
»Holen Sie sich die drei Typen ab«, sagte Holt, »und sehen Sie zu, daß dieses Gesindel ein für allemal begreift: Ein Vavra wohnt hier nicht mehr.«
»Ich verstehe nicht.«
»Na, dann kommen Sie mit.«
Holt ließ Vavra los und richtete seinen Bademantel, indem er die beiden Hälften stärker ineinanderschob und den Gürtel anzog. Mit seiner linken Hand, auf der nur ein einziger Ring zu sehen war, strich er sich die Haare aus der Stirn. Vavra stellte jetzt auch fest, daß Holts Beine nicht bloß muskulös und braungebrannt, sondern auch rasiert waren. Wahrscheinlich schwul, dachte Vavra, der für Schwule nicht viel übrig hatte. Es nervte ihn, daß sie sich in den gesellschaftlichen Mittelpunkt spielten, ihre Andersartigkeit, ihr Verfolgtsein unentwegt zur Schau stellten, ihre freimaurerartige Verbundenheit, die Unverfrorenheit, mit der sie einen ansahen oder ignorierten, ihr blinder, überheblicher Haß gegen alle Heteros. Vavra fand, daß die bekennenden Schwulen ihre perverse Praxis zur Normalität verdrehten und dabei versuchten, die ganze Welt zu verhomosexualisieren. Und das machte ihn zornig gegen diese als einflußreich verstandene Interessengemeinschaft. Dagegen waren die Juden harmlos. Übrigens: Gegen Schwarze hatte er nichts. Fand sogar, daß sie die Weißen aus Afrika hinausschmeißen sollten, lieber heute als morgen, bevor sich auch dort die Schwulen durchgesetzt hatten.
Vavra folgte Holt aus dem Badezimmer, vorbei an Liepold, die in der Schlafzimmertür stand, hochrot im Gesicht, in der Hand einen Glasbehälter, darin Trüffelkugeln. Wollte sie sich mit Schokolade verteidigen? Sie sah den beiden Männern wortlos nach, wie sie über die alte Grabow stiegen, die noch immer bewegungslos, aber mit sich hebender und senkender Brust, am Boden lag.
Holts Vorraum besaß die Ausstrahlung einer Galerie. Vavra fühlte sich unwohl, war sich nicht ganz sicher, wo die Kunst anfing und wo sie endete. Etwa dieser abgegriffene Lichtschalter, der nicht zum modischen Lichtdesign passen wollte und der auf der weißen Wand wirkte wie ein Relikt aus früheren, also Vavras Zeiten. Allerdings – dort war nie ein Lichtschalter gewesen. Handelte es sich also um ein Provisorium oder vielmehr um ein reines Objekt, eine Installation, die man nicht benutzen, sondern gedanklich anfüllen sollte? Ein Nachdenken über Energie, Licht, vielleicht auch nur über die Formen der siebziger Jahre. Um dieses Nachdenken nicht zu behindern, gab es hier weder eine Kleiderablage noch Schuhe oder Schirme, aber einen der Reflexion dienlichen spiegelblanken Boden.
Der große Wohnraum war um einiges gemütlicher: Teppiche, minimalistisch, aber weich, an den Wänden Nagelobjekte, Architekturzeichnungen und ein
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