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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Theaterstücke, sondern auch dafür sorgte, daß im Vorfeld gerichtlicher Kampfhandlungen gewisse Personen sich zurückzogen oder sich entschlossen, Aussagen tätigen zu wollen, die Hufelands Expertisen in optimaler Weise bestätigten.
    »Schön und gut«, sagte Vavra, der hier freilich wenig Schönes und Gutes entdecken konnte, »aber was habe ich mit Hufeland zu tun?«
    »Können wir auch nicht sagen. Aber wenn es Ihnen weiterhilft, kleiner Tip: Hufeland ist ein Freund der Familie Hafner.«
    »Und wo finde ich diesen Herbert?«
    »Herbart. Seien Sie vorsichtig, darauf legt er Wert, auf das a . Ihn Herbert heißen, kann einen teuer zu stehen kommen.«
    »Wohl nach Johann Friedrich Herbart, dem Pädagogen«, mischte sich Holt ein und bewies Bildung, die hier auf wenig Resonanz traf.
    Vavra, mit Burt im Rücken kaltschnäuzig geworden, meinte, daß es doch gleichgültig sei, wie er den Herrn nenne. Sein Freund, sein Gutachter sei er offensichtlich nicht. »Also, wo trifft man diesen Hufeland?«
    Das Mittelfeld antwortete, daß der Professor oft im Churchill verkehre, einer Bar im Grand Distrikt. Das war jene Gegend im Bereich des Gürtels, wo ein paar kümmerliche Animierlokale standen und halbnackte Mädchen den vorbeirasenden Autos nachsahen. Daß in Wien die Prostitution blühte, war schwer vorstellbar. Vielleicht in den Schlafzimmern der Hausfrauen oder in den großen Hotels, aber nicht auf der Straße. Das Churchill war ein schmuddeliges Nachtcafé, billiges Mobiliar, Alltägliches auf der Getränkekarte, ein paar ältliche, mütterliche Nutten an der Bar, die hier angestellt waren, um zuzuhören. Nur selten wollte ein Gast mehr. Was das Lokal mit jenem englischen Premierminister zu tun hatte, der für seine Ablehnung sportlicher Aktivitäten berühmt geworden war und dennoch den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, blieb im unklaren, da nicht einmal ein Foto des großen Briten die kleine Pin-up-Wand des Lokals zierte.
    So heruntergekommen das Churchill wirkte, war es dennoch der Treffpunkt von Personen, die in dieser Stadt etwas zu sagen hatten – und zwar nicht bloß, wie viele Mülleimer die Gemeinde im nächsten Jahr anschaffen würde – und die froh waren, sich einmal woanders zu begegnen als in der Hofburg oder in den Restaurants hochstapelnder Meisterköche, wo man ja kaum ordentlich miteinander reden konnte, wenn ständig irgendein Oberkellner, Journalist oder der Kanzler einem in die Suppe sah.
    Holt blickte auf die Uhr, erklärte die fünf Minuten für beendet und gab den drei Männern ein unmißverständliches Zeichen, woraufhin sie sich erleichtert erhoben. Sie klemmten ihre Waffen zwischen Hosenbund und Bauch, machten um den eingeschlummerten Nerz einen größtmöglichen Bogen – was nicht gerade ihrem guten Ruf entsprach, Bögen machen – und verließen eiligst die Wohnung.
    »Sie würde ich auch bitten«, sagte Holt und zeigte Vavra die Richtung an.
    »Die Kerle werden mir auflauern.«
    »Die Kerle sind keine Racheengel, sondern Professionalisten. Die machen jetzt Feierabend. Glauben Sie mir.«
    »Ich muß Ihnen glauben.«
    »Richtig.«
    Gerade als Vavra und Holt ins Vorzimmer traten, kam ein hochgewachsenes Wesen zur Tür herein. Kein Wintermantel verdeckte das schwarze, ärmellose Kleid, das einem Badeanzug glich. Ein Körper wie aus einem Comic, schlanke, überlange Beine, muskulöse Arme, krallenartige Finger, Backenknochen wie mit Filzstift skizziert, Katzenaugen, Löwenmähne. Auf dem linken Oberarm eine Tätowierung: mt, das Zeichen für träge Masse. Wovon nicht die Rede sein konnte. Die Haut glänzte, als käme das Wesen gerade aus der Kraftkammer. Vavra fragte sich, ob das eine Tunte sei.
    »Hallo, Mäuschen«, sagte das Wesen zu Holt, gab ihm einen Kuß und stelzte in der Art eines Models, die Luft mit den Hüften zur Seite stoßend, in ein Zimmer, das nicht das Wohnzimmer war. Wenn es sich bei dieser Person um einen Mann handelte, war er Stimmenimitator. Und genau betrachtet: Wenn das die Beine eines Mannes waren, vermochte die Schönheitschirurgie mehr, als sie zugab.
    Das konnte keine Tunte sein. Vavra war irritiert. Mag. Holt ein Hetero? Sahen Heteros heutzutage so aus? Rasierten sie sich die Beine? Standen Frauen auf haarlose Affen, auf das Schwuchtelgehabe, auf extravagante Haustiere?
    Holt schien dieses Zusammentreffen peinlich zu sein, seine Selbstsicherheit war mit einem Schlag dahin. Und als wäre er ausgerechnet Vavra eine Erklärung schuldig, schwafelte er etwas von

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