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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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majestätischen Lipizzaner, über keine reitende Truppe mehr verfügte. Sei’s drum, es war auch ohne fesche Kavalleristen ein wenig so, als hätte man gerade jemanden aufgeknüpft.
    Cerny drängte sich durch die Menge, stieß zwei Fotografen zur Seite, die jene Bilder schossen, die man sich am selben Abend von der Sache machen konnte. An der Absperrung zeigte er seinen Ausweis. Else hinter ihm her, als wäre sie seine langjährige Partnerin. Der allgemeinen Geschäftigkeit zum Trotz wärmten sich die Rettungsleute an ihren Zigaretten. Da war niemand, den sie hätten retten können. Der Mann unter der Plane verweigerte stumm jede Hilfe. Sein Mörder hatte so viel handwerkliches Können und gemeinnütziges Verhalten gezeigt, die insgesamt sieben Projektile einzig im Körper der anvisierten Person unterzubringen, was einerseits wohl die Erfüllung seines Auftrags bedeutete, andererseits zu einem gewissermaßen glimpflichen Ausgang der Aktion geführt hatte, war doch der nach dem Komponisten Josef Matthias Hauer benannte Platz ein durchaus belebter.
    Dank Elses bemerkenswerter visionärer Fähigkeiten, die denen eines gewissen Vavra zu entsprechen schienen, war Cerny der erste Kriminalpolizist vor Ort, war seinen Kollegen also wieder einen kurzen Schritt voraus und konnte erneut unbehelligt Tatort und Leiche begutachten. Er deckte die Plane auf und sah das Antlitz eines älteren Herren, dessen Vollbart bedeutend weißer war als der Schnee, in dem der Mann sehr ordentlich auf dem Rücken lag, die Hände in den Manteltaschen, die dunkle Krawatte unverrückt, als wäre er aus dem Stand starr wie ein Brett nach hinten gefallen. Ein Gesicht, auf dem Weisheit und Güte und Beredsamkeit wie die Spuren von Klebestreifen prangten, kreuz und quer. Das Haupthaar voll, seine Stirn mächtig. Ein Mann, dem die Großen und die Kleinen gelauscht hatten und der nun, müde vom vielen Geschichtenerzählen, vornehmlich in Gerichtssälen und Hochschulauditorien, die Augen geschlossen hatte. Und daß dies für immer sein sollte, mochte man kaum glauben, so zufrieden ruhten seine im Lächeln begriffenen Lippen inmitten der weißen Bartpracht. Das Loch in seiner Stirn war freilich ein unmißverständliches Zeichen, die Perforation mittels Pistolenkugel an der sozusagen optisch wie metaphorisch bedeutendsten Stelle von Herbart Hufeland. Die restlichen über den Oberkörper verteilten Einschüsse waren da nur noch wie zusätzliche Kleckse auf einem fertigen Bild. Vielleicht aber auch eine Art Signatur. Auf jeden Fall waren Könner am Werk gewesen, vermutlich Ausländer, zumindest Gastarbeiter. Hiesige Killer gab es wenige, die älteren waren zufrieden mit Sparbuch und Gartenpflege oder zurückgekehrt in den mäßig bezahlten, aber weniger aufreibenden Polizeidienst, der Nachwuchs kaum der Rede wert, kleine Neonazis, die in Bosnien und Kroatien das Töten gelernt hatten, wie man lernt, Pflaumen zu entkernen. Wer sichergehen wollte, der bestellte im Ausland oder orderte bei einer der örtlichen mafiosen Dienstleistungsbetriebe, von türkisch bis ungarisch. Sparmeister, die dennoch Qualität forderten, begaben sich ins Amerikanisch-Polnische Institut, wo einige angegraute, in Österreich hängengebliebene Ostküstler unerwünschterweise herumlungerten, wehmütig den Schülerinnen nachsahen, kleine, harmlose Geschäfte abwickelten und nachmittags ins nahegelegene Café M umzogen, wo sie – bekannt als Schnitzlerfraktion – eine Lesegruppe bildeten und sich der impressionistischen Stimmungsschwere der Jahrhundertwende hingaben.
    Als Auftragskiller waren diese Herren nicht gerade die flinkesten, aber sie leisteten solide Arbeit, wußten mit einem Zielfernrohr umzugehen, und ihre Preisvorstellungen blieben stets innerhalb der Schamgrenzen. Doch Cerny glaubte nicht, daß es einer von den amerikanischen Rezitatoren gewesen war, welcher Hufeland so treffsicher verabschiedet hatte. Diese Leute waren im Alter und im teuren Wien knausrig geworden. Mehr als zwei Kugeln würde keiner von denen verschwendet haben.
    Ein Uniformierter, den Cerny herbeigerufen hatte und der nun, neben ihm kniend, ebenfalls in das Loch auf der Stirn sah, fokussierte die verschiedenen Aussagen erster Zeugen zu einem Punkt, der aus den drei Teilen Motorrad, zwei Burschen und Osteuropäer bestand. Die Bezeichnung Osteuropäer klang zu korrekt, als daß sie aus dem Vokabular des Publikums hätte stammen können. Der junge Beamte benahm sich, als liefen in Wien gerade Olympische

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