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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Winterspiele, die dazu dienten, den neugewonnenen Ruf vom Naziland zu widerlegen. Er meinte, daß man die Vermutungen der Zeugen natürlich mit Vorsicht betrachten müsse. So gut wie sicher sei nur, daß es sich bei dem Fluchtfahrzeug um ein Motorrad handle. Wenngleich man sich auf eine Marke nicht einigen könne. Nun, Straßensperren seien eingerichtet worden.
    Cerny nickte. Die Wiener Straßensperre funktionierte mit ähnlichem Erfolg wie eine Mundsperre. Einer sperrte den Mund zu, und die anderen redeten weiter.
    Ein Polizeihund stöberte im Schnee nach einer Fährte, die einzig seine hündische Phantasie beflügelte. Aus den Fenstern beugten sich die Anrainer, ihr Atem dampfte in die Kälte hinaus. Gebell aus der Hundezone des Hamerlingplatzes. Auf der Florianigasse rasten Limousinen zum Tatort. Cernys Nachhut sozusagen. Weshalb er Hufeland nicht wieder abdeckte, den Streifenpolizisten zum Empfang der Neuankömmlinge schickte und zusah, den Tatort schleunigst zu verlassen.
    Als er auf der anderen Seite aus der Menge herausrutschte, bemerkte er, daß Else Resele verschwunden war. Und stellte fest, daß sie ihm fehlte. Genaugenommen fehlte ihm die Chauffeuse. Er bewegte sich in Richtung auf den siebenten Bezirk. Im Gehen maß er seine Temperatur.
    »Was tun Sie da?«
    Sie fuhr neben ihm her, ließ ihren Arm wie einen Köder aus dem Fenster hängen, sah aus ihrem hellblauen Vehikel verwundert zu ihm hinauf.
    Als hätte sie ihn bei einer Obszönität ertappt, unterbrach Cerny seine Handlung, tat, als halte er sich die Hand beim Gähnen vor. Mit einer schnellen Bewegung ließ er das Gerät in der Tasche verschwinden. Benahm sich lächerlich, was ihm durchaus bewußt war. Begriff sich selbst nicht. Woher diese Scham, die, einmal zugelassen, wie ein Troll auf seiner Schulter sitzen blieb?
    Cerny gab Resele keine Antwort, setzte sich zu ihr in den Wagen. Er war quasi ihr Vorgesetzter, konnte merkwürdige Dinge tun, soviel er wollte, ohne sich erklären zu müssen. Dann hätte er allerdings auch nichts zu vertuschen brauchen. Doch der Troll biß zu: Der Thermomat meldete sich. Die anschwellende Folge von Signaltönen mahnte zur Ablesung. Er fuhr in die Tasche und beendete mit einem Fingerdruck das elektronische Geplärr.
    »Fahren Sie nach Purkersdorf«, wies Cerny die Besitzerin des Porsches an, welche mit einem Seufzer den Allgemeinplatz von der Schwierigkeit der Männer kurz betrat, um dann während der Fahrt doch noch einmal auf Cernys eigentümliches Verhalten zurückzukommen: Er brauche sich nicht zu genieren. Nicht vor ihr.
    Cerny lenkte vom Thema ab, indem er Resele fragte, wie sie habe ahnen können, daß man auf Hufeland schießen würde. Oder er bereits tot war.
    »Die Dinge gehen durch unsere Köpfe. Durch alle Köpfe«, sagte sie.
    Es war Ende der neunziger Jahre. Die Esoterik blühte.

4|  Begegnung zwischen Torten
    Am Morgen dieses Tages ging es Klaus Vavra durch den Kopf, daß ihm nichts anderes übrigbleiben würde, als beim Ursprung anzusetzen, was bedeutete: beim Croissant.
    Wie in früheren, in besseren Zeiten, marschierte er die Arbeitergasse entlang zur Reinprechtsdorferstraße, wo er in einen überfüllten Bus stieg. Die Menschen rochen schlecht. Das fiel ihm natürlich nicht zum ersten Mal auf. Neu war, daß er sich selbst roch. Er roch verdorben. Gewaschen und parfümiert wäre es noch schlimmer gewesen. Ihm fehlte seine Zeitung. Und ihm fehlte dieser Zustand morgendlicher Benommenheit, der nötig war, um eine Zeitung zu genießen. Trotz der wenigen Stunden Schlaf war er hellwach. Weder die Nase noch die Ohren waren verstopft. Die Augen weit geöffnet, wie noch nie an einem Morgen. Nicht daß er sich ausgeschlafen fühlte, das nun wirklich nicht. Er fühlte sich nüchtern.
    Nachdem er aus dem Bus gestiegen und mit einer nicht ganz so vollen Straßenbahn mehrere Stationen gefahren war, befand er sich auf der breiten, gesichtslosen Straße, an deren Ende sich die Gebäude jenes Unternehmens befanden, für das Vavra in den letzten Jahren gearbeitet hatte. Und da stand er nun vor der Bäckerei Lukas, der unscheinbaren, dunklen Fassade. Man hätte auch annehmen können, daß hinter der getrübten Glastür ein Handel mit Ofenrohren betrieben werde. Eigentlich ein Novum, eine Bäckerei, die nicht wie eine Schnitzelbude oder ein Lampengeschäft aussah und in welcher erstklassige Ware angeboten wurde, während man sonst in Wien kaum noch ein Brot bekam, das nicht wie aufgetaut schmeckte. Den Meister

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