Tortengraeber
zunichte gemacht, bleibe aber doch in Ansätzen erhalten und könne also für den genauen Beobachter und kundigen Physiognomen durchaus eine Hilfe darstellen.)
Ob Joachim Wiese einen Anflug der Gähnmaulschen Mimik im toten Gesicht getragen hatte, konnte Cerny nicht sagen. Aber seinen Finger hatte er benutzt. Sein Fingerzeig hatte ihn sozusagen überlebt.
Die Parkplatzsuche war von den üblichen Schwierigkeiten gekennzeichnet. Cerny, unbelehrbar, bestand auf Improvisation. Resele, standhaft, hielt nichts von zweiter Spur und verbotenen Einfahrten. Kein Einsatz konnte so dringend sein, daß sie ihren Wagen den Methoden barbarischer Abschleppdienste ausliefern wollte.
Als die beiden endlich vor dem Haus in der Stumpergasse standen, läutete Cerny nicht bei Gähnmaul, sondern bei anderen Parteien. Da er sich aber nicht als Polizist zu erkennen geben wollte, um einen Aufruhr im Stiegenhaus zu vermeiden, war niemand bereit zu öffnen. Es war dunkel, die Bevölkerung hatte sich hinter Gardinen verschanzt. Wer sich jetzt noch auf der Straße befand, der war selbst schuld. Also auch jener Passant, der sich nun dem Haus näherte, unsicher, ängstlich angesichts der zwei Gestalten, die vor der Tür standen. Er wußte nicht so recht, ob er noch einmal um den Block marschieren sollte, ließ sich jedoch von der gepflegt aussehenden Dame blenden, zückte seinen Schlüssel, besaß dann aber doch nicht die Nerven, aufzusperren. Ein ganzes langes Stiegenhaus lag vor ihm. Und was bedeutete schon gepflegt. Legionen von Meuchelmörderinnen hatten gepflegt ausgesehen.
»Wir sind Freunde vom alten Gähnmaul«, säuselte Else, »wollen ihn überraschen. Sie sind doch so freundlich und lassen uns mit hineinkommen, nicht wahr?«
Der Mann nickte heftig, erfreut über die Erkenntnis, daß ein weißer Skianzug und eine verbeulte Natojacke gut zu dem Künstler im letzten Stock passen könnten. Kein Grund allerdings, seinen Rücken feilzubieten, weshalb er den beiden den Vortritt ließ. Gleich zu Anfang des Gangs befand sich ein Postkasten, auf den er sich stürzte, umständlich sein Fach öffnete, die Post aber nicht herauszog, sondern in dem Wust von Werbeprospekten wie in einer Kartei stöberte. Erst nachdem die hausfremden Personen in den Aufzug gestiegen waren, kam der Angsthase wieder zur Ruhe.
Während der schleppenden Fahrt lächelte Else Cerny an, sagte unvermutet »Danke«, wie man sagt: Wir sollten heiraten.
Cerny hatte keine Ahnung, wofür sie sich bedankte, sagte jedoch »Gerne«. Nicht daß er heiraten wollte. Er wollte höflich sein. Immerhin, Else Resele war die Person, zu der er gerne höflich war.
Als das Paar den Aufzug verließ, war das so, als käme es aus einer gelungenen Pause. Stieg die wenigen Stufen zu Gähnmauls Atelier hinauf. Cerny schlug mehrmals gegen das auf die Metalltür aufgemalte Gesicht. Doch niemand öffnete.
»Scheint ausgeflogen zu sein. Oder auch nicht«, sagte Cerny.
»Dann treten Sie eben die Tür ein. Die hängt ohnehin nur mehr sehr traurig in den Angeln.«
Cerny verdrehte die Augen. Wie üblich tat sie es ihm gleich. Dann nahm sie selbst einen kleinen Anlauf. Tatsächlich flog die Tür mit einem Stück des Mauerwerks aus dem Rahmen.
»Manchmal geht es eben leicht«, sagte sie.
»Manchmal geht es zu leicht«, sagte er.
Durch den dunklen Vorraum traten sie in das hell erleuchtete Atelier. Eduard Rad saß noch immer in der Mitte des Sofas. Seine Pfeife aber hatte er abgelegt. Nicht nur die. Er machte keineswegs den Eindruck, in Frieden geschieden zu sein. Die beiden Projektile waren in lebenswichtige Organe seines Körpers eingedrungen. Cerny betrachtete Rads Gesicht, das jetzt noch breiter wirkte. Vielleicht des aufgerissenen Mundes wegen. Es mag gewagt klingen, aber er wies nicht den klassisch geweiteten Mund eines Ermordeten auf, sondern den einer verschlafenen, gelangweilten Person, welche gähnt und damit nicht aufhören kann. Dazu die passende Augenpartie. Zwei schmale Schlitze.
Es mußte wohl eine ungeheure Anstrengung bedeutet haben, diese Grimasse eines Gähnenden, eines Gähnmauls, eines Spottgesichts, in die postmortale Gesichtslandschaft hinüberzuretten. Möglicherweise hatte also auch Rad sich um einen Hinweis bemüht, sich dabei jedoch nicht – wie Wiese – auf den Geburtsnamen des Bildhauers, sondern auf seinen Künstlernamen bezogen.
Allerdings waren solche Überlegungen müßig, da im Nebenzimmer Gähnmaul stand und auch gar nicht den Eindruck machte, gewalttätige
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