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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Handlungen leugnen zu wollen. Er hielt eine Pistole in der Hand, wie es schien, jene, die Rad unter seinem Jackett getragen hatte. In seiner Pranke wirkte die Waffe zierlich, unecht. Er selbst jedoch vermittelte Entschlossenheit, Freude. Vermittelte den Eindruck eines Mannes, der in eine Runde ging, von welcher er als einziger wußte, wie sie ausgehen würde.

10|  Frau mit Sonnenbrille
    Als sie aus dem Bus stiegen, war sich Klaus Vavra sicher, daß ihn der andere nicht bemerkt hatte, nicht bemerken konnte, derart vertieft, den Blick zum Boden gerichtet, drängte Wieses Mörder sich an den Leuten vorbei, die die große Einkaufsstraße belagerten. In der Menge verlor Vavra den Mann mehrmals aus den Augen. War aber unbesorgt, er hing an ihm wie an einem Strick, immer wieder leuchtete der Ledermantel auf. Vavra wähnte sich in einem Film, in dem die Kamera ständig zwischen den beiden Akteuren hin und her pendelte und die Möglichkeit, daß der Verfolger den Verfolgten verlor, bloß vortäuschte. Die Geräusche der Stadt und ihrer Menschen wurden zurückgedrängt, die Stimmen verschmolzen zu einem konstanten dumpfen Ton, nur noch der Atem, die Schritte der beiden Männer waren überdeutlich zu hören, als kreisten Mikrofone um ihre Körper.
    Aus dem Menschenfluß bogen sie in die relative Leere der Stumpergasse ein. Vavra hielt sich auf der gegenüberliegenden Seite. Als der andere in einem Haus verschwand, blieb Vavra kurz stehen, betrachtete das Gebäude, trat dann über die Straße und vor das wieder verschlossene Haustor, studierte die Namensschilder auf der Gegensprechanlage. Auch ihm fiel der Name Gähnmaul zunächst nur seiner Besonderheit wegen auf. Doch dann meinte er sich zu erinnern, daß Wiese einen Mann aus der Lukasrunde erwähnt hatte, Gähnmann, Gähnmarsch, vielleicht aber eben auch Gähnmaul, jener, der über die leerstehenden Wohnungen in der Taubenhofgasse Bescheid gewußt, also gewissermaßen seinen, Vavras, Vorschlag aufgegriffen hatte.
    Vavra scheute sich, zu läuten und hinaufzusteigen. Solange er dem anderen bloß nachschlich, blieb bei aller Gebundenheit doch eine Distanz. Und diese aufzugeben, war er noch nicht bereit. Er ging zurück auf die andere Seite der Straße, trat in ein kleines, türkisches Lokal und wählte einen Fensterplatz, von dem aus er einen guten Blick auf das Haus besaß. Er wollte abwarten. Bestellte ein Glas Rotwein und Zigaretten. Beobachtete die Menschen, die in das Haus gingen oder es verließen. Eine dunkelblaue Limousine schoß in eine Lücke, und ein klobiger Kerl entstieg dem Wagen. Vavra dachte, ihn schon einmal gesehen zu haben, erinnerte sich vage, das Gesicht aus dem Fernsehen zu kennen. Bezweifelte jedoch, daß man solche Leute in natura wiedererkannte, wenn ihr Grinsen oder ihre bemühte Ernsthaftigkeit von ihnen abgefallen war. Und selbst wenn, es war noch kein Verbrechen, im Fernsehen gewesen zu sein und es eilig zu haben. Wenig später bemerkte er ein Paar, das längere Zeit vor dem Tor stand und die Namensschilder studierte. Die großgewachsene Frau trug einen weißen Skianzug, wirkte trotz schneebedeckter Straße deplaziert, vor allem neben diesem Mann, der nicht aussah, als würde er sich je auf eine Skipiste verirren. Vavra drehte sich zu dem Kellner und bestellte Kaffee. Als er wieder hinaussah, waren die beiden verschwunden. Die Zeit streckte sich. Er dachte daran, wie sehr sie sich erst strecken würde, wenn diese Sache vorbei war. Er meinte den Alltag, nicht den Tod, den er sich nicht als gestreckt, sondern nur als Punkt vorstellen konnte, welcher nach innen wuchs. Einmal glaubte er, Wieses Mörder sei wieder aus dem Haus gekommen. Eine kleine Gestalt, das Profil von einer Kapuze verdeckt. Doch Vavra blieb sitzen. Auch wenn die Person nicht hinkte, hatte der Gang etwas Invalides, paßte nicht zu dem Mann, der Messer und Pistole so geschickt einzusetzen verstanden hatte und welcher möglicherweise Gähnmaul hieß.
    Im anbrechenden Dunkel, welches das kümmerliche Tageslicht zu ersticken begann, erkannte Vavra erneut das ungleiche Paar, Skianzug und Natojacke, wie es das Haus verließ und die Gasse hinuntermarschierte. Vielleicht hatte die Frau den Mann überzeugt, daß Kitzbühel der schönere Ort sei.
    Vavra nahm ein Magazin zur Hand, blätterte darin, so, daß er über den Blattrand hinweg den Hauseingang im Blick behielt, der nun im gedämpften Licht einen hübschen Hintergrund für ein städtisches Krippenspiel abgegeben hätte. Aber

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