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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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einher.
    Else Resele konnte gar nicht anders: Sie mußte an Heirat denken. Eine innere Stimme bestand darauf, daß Cerny einer von den Männern sei, die sich fürs Leben eignen. Weshalb Else nicht umhinkam, auch an ihren, wie sie ihn nannte, »blinden Fisch« in der Schweiz zu denken. Sollte sie alle Prinzipien über Bord werfen, einmal nicht auf den Tod des Gatten warten und es mit Scheidung versuchen? Anton Resele machte zwar einen durchaus kränklichen Eindruck, wie in Alkohol eingelegt, aber was bedeutete das schon. Ähnlich wie Ingrid Liepold glaubte auch Else, daß gewisse Menschen in boshafter Absicht ihr Alter zu einer widernatürlichen Dauer strecken konnten, gerade jene, die von Jugend an mittels einer angegriffenen Gesundheit ihre Umwelt hinters Licht führten. Ihre früh verstorbenen Gatten hingegen waren sämtlich kerngesunde, vor Kraft strotzende Sportsleute gewesen, die mit ebendieser Kraft in diverse gefährliche Sportarten hineingaloppiert waren und in der Folge aus dem Leben.
    Während sie sich dem Gedanken an eine sechste Ehe hingab, fiel ihr Blick auf eine Abbildung in Wieses Buch, die sie nun doch interessierte.
    »Ich wußte gar nicht, daß er mit bürgerlichem Namen Jünger heißt«, sagte sie, mehr zu sich selbst.
    Cerny hob den Kopf, als sei er eben erwacht. Etwas Entscheidendes war geschehen, ohne daß er hätte sagen können, worin es eigentlich bestand. Und als er nun den Thermomaten in seiner Hand vorfand, glaubte er, in diesem Umstand das Entscheidende erkennen zu müssen. Weshalb er sich nicht weiter seinem Trieb widersetzte und mit gespielter Gelassenheit das Gerät benutzte. Mit Freude nahm er eine leicht erhöhte Temperatur zur Kenntnis, die ihm – goldene Mitte – am liebsten war. Dann ließ er den Apparat wieder in seine Tasche gleiten und war bereit, sich dem Staunen seiner Nachbarin auszusetzen. Diese war aber noch immer, trotz der Signaltöne aus dem Meßgerät, in das Buch vertieft. Was ihn weniger erfreute als enttäuschte.
    »Was meinten Sie?« fragte Cerny.
    »In Wieses Buch ist eine Skulptur von unserem verehrten Gähnmaul abgebildet.« Sie tippte auf ein Schwarzweißfoto. Eine von Gähnmauls typischen schlanken Figurinen, die man für eine verbogene Schraube hätte halten mögen. Der Titel Hungerblume rechtfertigte den Abdruck. Else erklärte, sie habe sich schon gefragt, ob jemand tatsächlich Gähnmaul heißen könne. Ein Künstlername eben. Eigentlich heiße er Jünger.
    Cerny riß ihr das Buch aus der Hand, betrachtete nur kurz das Bild, fuhr dann mit dem Finger über die Bildunterschrift, die mit einer Klammer endete, in die der bürgerliche Name des Künstlers gesetzt war.
    »Jünger«, sagte er, wie man sagt: Jessasmaria. »Zurück zu Gähnmaul. Schnell.«
    Else ließ sich nicht hetzen. Paßte ihren Fahrstil der Witterung an. Währenddessen erzählte ihr Cerny, wie ihm bei der Betrachtung von Wieses Leiche der gestreckte, auf das Bild des soeben verstorbenen Dichters Ernst Jünger weisende Finger aufgefallen war und er sich diesen Wink nicht hatte erklären können. Natürlich konnte es ein absurder Zufall sein, daß die Gliedmaße an dieser Stelle zum Liegen gekommen war, gerade als der Tod in Wiese eingebrochen war. Zu berücksichtigen war aber auch das altbekannte Muster, daß Verbrechensopfer – ehrgeizig, unversöhnlich, nachtragend – im Moment des Sterbens um einen letzten Hinweis ringen, von dem sie sich wünschen, er möge eine postume Würdigung erfahren. Davon lebte nicht nur die Kriminalliteratur, sondern auch die Kriminalistik. Wie oft von Experten behauptet wurde: Eine Leiche spreche. Nicht bloß durch augenscheinliche Verletzungen und Spuren der Verwesung, sondern eben auch durch gewollte Zeichen.
    Solcherart wäre auch die Aussage zu verstehen, das Gesicht des Mörders spiegle sich in den Augen seines Opfers und sei in der hinteren Augenkammer wie ein Negativ festgehalten, das man nur noch zu entwickeln brauche.
    (In diesem Zusammenhang muß die Behauptung des legendären Gendarmerie-Chefarztes L. Ziegler erwähnt werden, daß eine beträchtliche Anzahl von Mordopfern, die ihren Täter gekannt hatten oder zumindest seiner ansichtig geworden waren, unbewußt eine Nachahmung der Gesichtszüge des Mörders im eigenen Antlitz vollzogen hätten, eine reflexartige Mimese in der instinktiven Hoffnung, der Angreifer würde sein Spiegelbild verschonen. Durch den Eintritt des Todes und das Erschlaffen der Muskeln werde das Ergebnis zwar zu einem Großteil

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