Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
geleistet und Vavra zur Tatortfindung motivieren können. Weshalb man die Leiche infolge jenes Hufelandschen Übermuts in die Taubenhofgasse transferierte.
    Aber in der Geschichte steckte bereits der Wurm, ebenjener österreichische Mangel an bürokratischer Einschätzbarkeit. Eine Anordnung, die aus dem Ministerium wie aus dem Nichts an die zuständigen Beamten ergangen war, diktierte die Einstellung des Verhörs. Wogegen Hufeland, ohne allzusehr auf sich aufmerksam zu machen, nichts unternehmen konnte. Er wollte keine Dummheit begehen. Beging sie aber dennoch, indem er die drei Katecheten engagierte, die den eben entlassenen Vavra dazu bekehren sollten, gegen seine Entlassung zu protestieren und mit aller Vehemenz auf seiner Schuld zu bestehen.
    Dummheiten schleichen sich natürlich immer ein. Und zwar an allen Fronten. Das Durcheinander war gefährlich, aber eben doch ein Durcheinander, unübersichtlich, bei aller Dramatik langfristig träge, ein Durcheinander, das in Vergessenheit geraten würde. So Hufelands Vermutung. Allerdings: Was nur ungenau eingeschätzt werden kann, das ist der Wahnsinn des einzelnen. Dem Bildhauer Gähnmaul war ganz offensichtlich zuviel zugemutet worden. Der Geist der Rache streckte sich in ihm zu beträchtlicher Entschlossenheit. Man hatte ihn gezwungen, die Rolle des Totengräbers zu übernehmen. Also wollte er diese Rolle auch zu Ende spielen. Am Grab Sarahs hatte er noch gemeint, daß es das beste wäre, wenn sie alle, wie sie da standen, sich dazulegen würden. Und das war genau die Idee, an deren Verwirklichung er dann ging. Die Idee einer radikalen und umfassenden Sühne von Schuld. Denn nur eine völlige Eliminierung der Beteiligten – logischerweise stand er dabei am Ende der Reihe – erschien ihm als angebracht, um dem Geschehenen gerecht zu werden. Er hatte sich zum Richter ernannt, welcher seine Urteile auch selbst ausführte. Richter und Scharfrichter in Personalunion. Hufeland, Wiese und Rad hatte er bereits abgehakt. Jetzt kam der Rest. Dabei war es keineswegs so, daß er den Polizisten Cerny, dessen vermeintliche Assistentin Resele sowie Klaus Vavra zu den Beteiligten zählte. Daß sie hier saßen, zusammen mit dem toten Rad und der noch nicht toten Birgitta Hafner, war Folge einer Dynamik, für die Gähnmaul nichts konnte und die ihn auch nicht kümmerte. Jetzt gehörten sie eben dazu. Unschuldige gab es sowieso nicht. Soviel war für Gähnmaul sicher.
    Der Bildhauer nahm die erkaltete Pfeife aus dem Mund, legte sie neben die Waffe. »Sie sehen doch ein, daß ich gar nicht anders konnte.«
    »Krank«, kommentierte Hafner.
    Gähnmaul grinste. Es war seine Sache, zu entscheiden, wer oder was hier krank war. Und das, obwohl seine Entfernung zur abgelegten Waffe beinahe gleich groß war wie die der anderen. Doch die anderen waren alt geworden, und sehr viel langsamer, als sie es ohnehin gewesen waren. Gähnmaul hingegen trug sein Alter schon zu lange in den Knochen, als daß er es gespürt hätte.
    »Ich frage mich«, sagte Cerny, »warum bloß hat uns Rad seine verrückte Geschichte aufgetischt?«
    »Und ich frage mich«, sagte Vavra, »warum mir Wiese seine verrückte Geschichte aufgetischt hat.«
    »Altes Prinzip der Lukasrunde«, erläuterte Gähnmaul. »Wenn die Wahrheit sich gefährlich nähert – dann Verrücktheiten auftischen, solcherart die verrückte Wahrheit abdecken, sie in den Schatten stellen. Das ist wie in der politischen Debatte, wo die Kontrahenten sich nie begangener, ungeheuerlichster Verbrechen bezichtigen, welche folglich auch nicht bewiesen werden können, während man über die tatsächlichen, die beweisbaren Verbrechen schweigt.«
    Er stand auf, nahm den Lauf der Waffe in die linke Hand, so daß einen Moment das Geräusch, welches auf der Glasplatte des Tisches entstanden war, wie ein einziger schneller Einstich sämtliche Gehörgänge miteinander verband, faßte dann den Griff mit seiner Rechten und schob das Werkzeug in die Innentasche seiner Jacke. Aus derselben Tasche zog er ein Kuvert und plazierte es genau an jener Stelle, wo die Pistole gelegen hatte.
    »Für dich, Birgitta«, sagte er und verließ den Raum durch den niedrigen Gang.
    Man erhob sich nicht gleich. Auch wenn Gähnmaul auf diesbezügliche Anordnungen verzichtet hatte, schien es sich von selbst zu verstehen, nicht sofort aufzuspringen, um die Verfolgung aufzunehmen oder ähnlich Rabiates zu versuchen. Was keine Frage des Alters war. An ihren greisenhaften Zustand dachten die

Weitere Kostenlose Bücher