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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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gelegt worden.
    Ausgerechnet Hufeland und Wiese – Dick und Doof des psychologischen Kriminalfilms, wie Gähnmaul sie eigenartigerweise betitelte – waren als Freunde der Familie damit beauftragt worden, das Mädchen von seiner selbstmörderischen Nulldiät abzubringen. Wiese war mit der Nonchalance eines müßiggängerischen Naturwissenschaftlers an die Sache herangegangen, palavernd, auf die Heilkraft der Anekdote bauend, tatsächlich hin und wieder das Mädchen ins Lukas schleppend, tatsächlich hin und wieder in der Vergangenheit wühlend wie in einem Erdbeerfeld, freundlich, unterhaltsam, ein fetter, gemütlicher Adjutant auf dem Weg in den Hungertod. Hufeland hingegen hatte es mit Autorität versucht, wortreich die möglichen Szenarien ausgemalt, von harten, therapeutischen Eingriffen bis zur Zwangsernährung. Im Grunde war er ein Zeigefingervirtuose, der sich um die Sache nicht weiter kümmerte. Sowenig wie die vielbeschäftigte Mama, die von den Zicken ihrer Tochter nichts hören wollte und den Anblick einer in ihre lächerliche Pubertät verstrickten Göre die meiste Zeit mied. Was dank diverser Auslandsreisen und der Größe des Purkersdorfer Domizils nicht weiter schwierig war. Eigentlich eine alltägliche Geschichte buddenbrookschen Ausmaßes. Den Hausarzt hielt man aus der Sache heraus, waren doch Hufeland und Wiese beide gelernte Mediziner – nun, wer war nicht alles gelernter Mediziner. Man konnte manchmal meinen, das halbe Land. Und die andere Hälfte Apotheker, so versiert waren die Bürger in heilkünstlerischen Fragen.
    Zwar wurden die Leute dabei nicht gesünder, aber dafür älter. Einige wurden auch das nicht. Sarah Hafner starb, und zwar durchaus gewollt. Medizinisch gesehen infolge so unglücklicher wie logischer Umstände, poetisch gesehen wie von einem Blitz, den sie, seit langem auf freiem Feld stehend, sehnlichst erwartet hatte.
    Über die Gefühle der Mutter, die man in Singapur erreichte – was niemand ihr vorhalten kann: in Singapur sein, während die Tochter »überraschend« stirbt –, konnte Gähnmaul nur spekulieren, war jedoch überzeugt, daß der Schmerz ein sozusagen affektiver gewesen war und bald von der Sorge überlagert wurde, der Tod der Tochter könnte zum Gegenstand einer peinlichen, einer geschäfts- und rufschädigenden Untersuchung werden. Die Familiengruft nahe des Bodensees kam also kaum in Frage. Nicht daß man Sarah einfach auf die Müllkippe geworfen hätte, sie erhielt ein Grab in durchaus bester Lage, bloß abseits der Gepflogenheiten, etwa wie man die Hauskatze begräbt, also keineswegs bei Nacht und Nebel, aber eben ohne bürokratischen Aufwand, auch nicht weniger liebevoll, doch aus diversen einsichtigen Gründen auf das obligatorische Kreuz verzichtend. Der Herr würde sie aufnehmen oder nicht, daran konnte kein Kreuz etwas ändern. Frau Hafner war nicht weniger pragmatisch und aufgeklärt als religiös.
    Die Beerdigung fand an einem der letzten warmen Tage statt, am Rande eines Waldstückes, das zu einer Hafnerschen Besitzung gehörte. Unter ausschließlicher Teilnahme der Mutter und der Herren der Lukasrunde. Hufeland hatte die Freunde Rad, Wiese und Gähnmaul informiert, hatte sie in die Sache hineingezogen wie in einen Käfig. Die Herren waren schockiert gewesen, so ein Tod sei ja keine Kleinigkeit, die Situation alles andere als korrekt, was – die Herren ahnten es – weitere Unkorrektheiten nach sich ziehen mußte. Das koreanische Hausmädchen, welches Sarah tot in ihrem Bett aufgefunden und sofort Hufeland benachrichtigt hatte, wurde mit einer Abfindung, die ihren Mund lebenslänglich verschloß, nach Korea zurückgeschickt. Natürlich hielt die Hausherrin weitere Angestellte aus der Sache heraus, weshalb Gähnmaul, der – soweit stimmte Wieses Geschichte – in Hufelands Schuld stand, nun von diesem genötigt wurde, das Grab zu schaufeln. Gähnmaul verabscheute diese Arbeit, gerade darum, weil er nicht in aller Heimlichkeit grub, also dem Schändlichen ein angemessenes Bild verlieh, sondern im Sonnenschein eines lieblichen, für die Jahreszeit beklemmend milden Tages sich koboldhaft in den Boden hineinarbeitete, mehr einen schrägen Tunnel als ein Grab schaufelte, in einer fiebrigen, einzig auf die Tiefe gerichteten Wildheit, als wollte er unter die Erde flüchten. Hufeland mußte ihn bald aus dem Loch zerren, in das der Sarg problemlos hinabrutschte.
    Gähnmaul wollte augenblicklich den Schauplatz verlassen. Aber als Bildhauer, als

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