Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
hängenden Art, sondern umfangreich und kompakt, als ob er sehr bald Zwillingen das Leben schenken würde. Seine Knie hatten den Umfang von Suppentellern.
Der Portier teilte ihm meine Ankunft mit, worauf er sich erhob – und erhob – und erhob. Als er sich zur Gänze aufgerichtet hatte, war er weit über einen Meter neunzig groß. Mit langsamen, schwerfälligen Bewegungen kam er auf mich zu. Die Porzellansammlung auf dem Sims des offenen Hotelkamins bebte deutlich. Als dieser Riese sich zu mir hinunterneigte, schluckte ich nervös.
»Dario, es freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte er und quetschte meine Hand wie eine Orange in der Saftpresse. Um das Eis zu brechen, sagte ich: »Und, wie ist das Wetter dort oben?« Sein Gesicht erhellte sich, und er brach in ein freundliches, schallendes Lachen aus – das das wertvolle Porzellan erneut in Gefahr brachte.
Als er ins Auto stieg, musste ich gestehen, dass das Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte, nicht unzutreffender hätte sein können. Mein Begleiter war ein freundlicher, zu groß geratener Junge, sehr umgänglich und unkompliziert. Doch war es wirklich möglich, dass dieser Mann neben mir der pedantische Fragensteller war, mit dem ich so manches eilige Fax ausgetauscht hatte?
Eine Obsession aber hatte T.T.: den Wein. Er war ein echter Fanatiker. Er kannte jede Weinsorte, alle Rebenarten, die verschiedenen Kelterungstechniken, sogar die Flaschentypen. Wenn wir uns an einen Tisch setzten und Wein bestellten, bestand er immer darauf, dass er dekantiert und in den für den Wein am besten geeigneten Gläsern serviert werde, weil Wein für ihn etwas wirklich Heiliges war. In meinen vielen Jahren als Fremdenführer habe ich viele Weinnarren kennen gelernt, aber keiner konnte sich mit ihm messen. Sobald eine Flasche offen war, begann er mit seinem Ritual. Zuerst begutachtete er den Korken. Dann, wenn der Wein in der Karaffe war, schnüffelte er daran, wobei er ihn sich beinahe in die Nasenlöcher goss. Nachdem der Wein eingeschenkt war, betrachtete er seine Farbe. Dabei hielt er das Glas gegen das Licht. Danach senkte er seinen Kopf und steckte seine Nase ins Glas, wobei seine Wangenknochen gegen den Glasrand drückten. So verharrte er minutenlang, damit ihm kein noch so winziges Geruchsmolekül entging.
Nach dieser ersten Phase begann die Verkostung. Er fing den ersten Tropfen mit seiner Zungenspitze auf, wo die Geschmackspapillen besonders empfindlich sind, dann schürzte er seine Lippen und ließ sie vibrieren, wobei er ein Geräusch von sich gab, das dem Schnurren einer Katze ähnlich war. Anschließend richtete er sich wieder auf und nippte am Glas, das er zwischen zwei Schlückchen mit einer entschiedenen Handbewegung immer wieder drehte.
Nachdem er das Glas geleert hatte, verkündete er sein Urteil, das sich nie auf die üblichen Bemerkungen wie »herb«, »schwer« oder »trinkbar« beschränkte. Nein, T.T.s diagnostischer Wortschatz ging von süßlich über essigähnlich, trocken, ausgedehnt, edel aromatisch, säuerlich, ätzend, gepanscht, säurehaltig, aggressiv, sauer, manipuliert, lieblich, bitter, gerbend, düster, glänzend, brennend, verbrannt, buttersäurehaltig, warm, teerartig, kurz, gekocht, verfallen, fein, unvollkommen, unharmonisch, süß, herb, prickelnd, ausgewogen, grasig, verweilend, offen, dünn, würzig, strukturiert, geschmackvoll, samtig, weinartig, lebhaft, bis zu einem erstaunlichen fuchsartig oder haarig. Für die Beschreibung der Farben und der verschiedenen Früchte, die er bei jedem Schluck zu erkennen vermochte, verfügte er über eine weitere lange Liste von Eigenschaften, die ich uns hier ersparen will.
T.T. hatte schon jahrzehntelang Wein getrunken, aber dies war sein erster Besuch in der Toskana und deshalb seine erste Gelegenheit, die Kellereien und Weinberge zu besichtigen, von denen er bisher nur gelesen hatte. Jeder Halt war wie ein Besuch mit einem Kind in einer Schokoladenfabrik. Manchmal war er ehrlich gerührt, wenn er einem bekannten Weinbauern oder Weinbergbesitzer der Gegend vorgestellt wurde. Diese Menschen hatten vor der persönlichen Begegnung einen beinahe mythologischen Stellenwert für ihn. Seine Augen glänzten jedes Mal vor Freude, und er strahlte begeistert, während er Hand um Hand zerquetschte.
Was mich wirklich schockierte, waren seine scheinbar unerschöpflichen finanziellen Mittel. In den Restaurants bestellte er immer die teuersten Weine. Dabei drängte er die entsetzten Gastwirte, ihre
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