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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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daher, dass sie kleiner gewachsen sind oder aber weil sie schon seit jeher ausgezeichnet ohne Sattel reiten. Was immer der Grund dafür sein mag, sie haben schon mehrmals bewiesen, dass sie die Besten sind.
    Jede contrada versucht, einen Reiter unter Vertrag zu nehmen, auch wenn weder die contrada noch der Reiter diese Abmachung sonderlich ernst nimmt. Wenn der Reiter es so beschließt oder wenn die contrada das wünscht, kann der Reiter für eine andere contrada am Rennen teilnehmen.
    Die Wahl des Reiters ist die logische Konsequenz der Pferdeauslosung. Zu einem guten Pferd gehört ein ebenso berühmter Reiter. So kann es geschehen, dass ein Reiter, der mehrmals für die gleiche contrada gestartet ist, sich entschließt, für die feindliche contrada anzutreten. Traue keinem Reiter! Er ist sogar imstande, von seiner eigenen contrada Geld anzunehmen, damit er gewinnt, und gleichzeitig von der feindlichen contrada ein Bestechungsgeld zu kassieren, damit er verliert!
    Jetzt, da auch die Reiter auf den Plan getreten sind, wird ernsthaft taktiert. Um einen Palio zu gewinnen, braucht man sehr viel Glück. Ebenso wichtig ist aber ein fähiger Hauptmann, der die richtigen Verbündeten für seine Sache gewinnen kann. Beispielsweise kann eine contrada, die seit Jahren nicht mehr gesiegt hat, jetzt über ein gutes Pferd und einen guten Reiter verfügen. Um die Gewinnchancen noch weiter zu verbessern, wird sie einer anderen, vor kurzem erfolgreichen contrada, die jetzt ein schlechtes Pferd hat, Geld anbieten, damit diese sie unterstützt, indem sie ihr beim Start den Weg frei hält, das Pferd eines Rivalen behindert oder sonst etwas tut. Diese Verhandlungen werden natürlich streng geheim durchgeführt, am Tag und auch nachts, bis zum letzten Augenblick vor Beginn des Rennens. Sogar contrade, die nicht am Rennen teilnehmen, intrigieren mit und versuchen, ihre Feinde am Sieg zu hindern – wenn es notwendig ist auch, indem sie dem feindlichen Reiter Geld anbieten. In den gerüchtegeladenen Wochen vor dem Palio finde ich es äußerst spannend, den tausenden von Möglichkeiten und Spekulationen zuzuhören, die jedermann bezüglich Bestechungen und Strategien hat. Angesichts der Energie, die in diesen ständigen Diskussionen verbraucht wird, frage ich mich manchmal, ob noch genug davon übrig bleibt, damit diese ganze geheime Sache überhaupt stattfinden kann!
    Aber man darf sich über diese eifrigen Verschwörungen und Absprachen nicht wundern. Der Einsatz ist wirklich sehr hoch. Für die Sienesen hat der Palio eine mythologische Bedeutung. Sogar die Pferde werden zu Helden – viele sind Legende geworden und haben die Herzen der Sienesen erobert, weil sie den Palio ganz besonders eindrucksvoll gewonnen haben. Brandano, Rimini, Panezio und Phiteos sind Namen, die nie in Vergessenheit geraten werden. Siena betrachtet das Pferd als heiliges Tier und behandelt es mit der größten Sorgfalt. Zwar stimmt es, dass die Pferde sich während des Rennens gelegentlich und bedauerlicherweise verletzen, doch solche Zwischenfälle kommen bei allen Anlässen vor, bei denen Pferde ein Rennen bestreiten.
    Auch die Reiter haben ihren Platz in der Geschichte. Ein Name, der über allen anderen steht, ist Andrea De Gortes, bekannt unter dem Spitznamen »Aceto«, was so viel wie Essig bedeutet. Er hat die unglaubliche Zahl von vierzehn Palio-Rennen gewonnen. Trotzdem sind die Reiter nicht wirklich beliebt. Es kommt tatsächlich vor, dass einer von ihnen nach dem Rennen von den contradaioli, die ihn angeheuert haben, angegriffen und geschlagen wird, weil sie mit seiner Leistung unzufrieden sind.
    Zwischen dem Nachmittag der Auslosung und dem Morgen des Palio testen die Reiter die Pferde und nehmen mit ihnen sechsmal auf dem Platz an einem Proberennen teil. In diesen Rennen sollen die Pferde vor allem Selbstsicherheit gewinnen und vertraut werden – nicht nur mit den Startseilen und der mit Erde bedeckten Rennstrecke, sondern mit tausenden von aufgeregten Zuschauern, die von allen Seiten her zur Rennbahn drängen. Vor jeder Probe wiederholt sich ein mitreißendes Schauspiel. Der barbaresco führt das Pferd auf dem Campoplatz, gefolgt von hunderten von contradaioli, die ununterbrochen ihre Hymne singen und dabei häufig neue an ihre Rivalen gerichtete Spottverse anhängen. Wenn so alle contrade auf den Platz marschiert sind, beginnt die Probe. Der Start befindet sich in der Nähe des Hauptzugangs zur Piazza. Hier befindet sich eine Vorrichtung, die

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