Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
und mit einer Jacke, die so eng war, dass er sie nicht mehr zuknöpfen konnte.
Mario, ein Freund, erinnert sich an den Tag, an dem er mit Roy nach Florenz fuhr. In einem eleganten Café auf einem der größeren Plätze der Stadt legten sie eine Frühstückspause ein. Kaum waren sie im Café, als alle Kellner herbeieilten und Roy begrüßten: »Signor Roy, Signor Roy!« Sie deckten unverzüglich den schönsten Tisch, und Mario sah zu seinem größten Erstaunen, wie anstelle von Cappuccino und einer Brioche unaufgefordert würzige Würstchen und Schinken aufgetragen wurden.
Einmal überraschten ein paar contradaioli Roy in seiner Heimat. Sie waren geschäftlich nach New York gekommen und riefen ihn vom Flughafen an. Er freute sich riesig und lud sie sofort zu einem Besuch in seiner Wohnung in Manhattan ein.
»Ich wohne in der West 77th Street, in der Nähe des Central Park«, sagte er.
»Gut«, antworteten seine Freunde, »aber welche Hausnummer?«
»Das ist ein unwichtiges Detail«, sagte er wegwerfend. »Wenn ihr hier seid, merkt ihr, wo!«
Seine Freunde waren etwas ratlos und nahmen ein Taxi. Als sie in der Upper West Side ankamen, ärgerten sie sich, dass sie so dumm gewesen waren, ohne die Hausnummer loszufahren. Rund herum waren riesige, unpersönliche Wohnblöcke zu sehen. Schließlich schwenkten sie in die 77. Straße ein und entdeckten zu ihrer Verblüffung eine enorme Raupenfahne an einem Fenster ganz oben an einem sehr hohen Gebäude, eine Raupenfahne, deren kräftiges Gelb, Blau und Grün in den Mittagshimmel lachten.
Roy hatte sein eigenes Land keineswegs zugunsten von Italien verlassen. Er war ein echter Amerikaner. Sein Geburtstag fiel auf den 4. Juli, und er feierte ihn immer mit einer großen Einladung zum Abendessen, mit vielen Amerika- und Raupenfähnchen als Tischdekoration. Diese merkwürdige Gewohnheit, sich selbst an seinem Geburtstag zu feiern, ruft eine weitere seiner Eigenschaften ins Gedächtnis, nämlich seine Großzügigkeit. Es war unmöglich, ihn zum Essen oder zum Trinken einzuladen. Er wollte immer für alle bezahlen. Er gründete sogar einen Stipendienfonds für die Studenten der contrada, der nach seiner Nichte Sylvia benannt ist.
Schließlich sollte Roy vom Bürgermeister besonders geehrt werden. Am besagten Tag begleiteten ihn ein paar Freunde unter irgendeinem Vorwand zum Rathaus. Er war entsetzt über das versammelte Stadtparlament und viele weitere ihm bekannte Leute, alle in eleganten Kleidern. Als er begriff, dass die ganze Versammlung zu seinen Ehren war, kamen ihm Freudentränen.
Einer seiner guten Freunde schrieb über ihn: »Er schien überall Freunde zu haben – in England, Irland, Holland, Skandinavien, Wien und in seinem geliebten Italien, besonders in Siena. Als ich ihn 1990 dort besuchte, stiegen wir zusammen aus dem Taxi, und bevor wir auch nur die Straße überqueren konnten, näherte sich uns eine kleine Gruppe von Leuten, um ihn zu begrüßen und zu umarmen. Er wechselte ein paar Worte mit ihnen, worauf sie zufrieden wieder verschwanden. Dann wandte er sich mir zu und sagte achselzuckend: »Ich habe keine Ahnung, wer sie sind!« Dies geschah auch nachher noch mehrmals. Überall erkannten ihn die Leute. Sie nannten ihn Professore Roy.
Eine weitere Charaktereigenschaft von Roy war seine Unfähigkeit, an einem guten Restaurant vorbeizugehen oder zu einem Glas Wein Nein zu sagen, trotz der merklich vorrückenden Jahre und seines zunehmenden Körpergewichts. Er räumte zwar ein, dass die Ärzte ihm im Verlauf der Jahre mehrmals geraten hätten, mit dem übermäßigen Essen und Trinken aufzuhören und mehr auf seine Gesundheit zu achten, aber er könne auf die Freuden des Lebens ganz einfach nicht verzichten. Dann fügte er ernst, aber lächelnd hinzu, dass viele der Ärzte, die ihm strenge Diäten verschrieben hatten, ohnehin schon tot seien.
In der Zeit des Palio trug er immer eine Rosette in unseren Farben. Er nahm intensiv am Ereignis teil, aber leider war es ihm nie vergönnt, einen Sieg der Raupe mitzuerleben. Schließlich wurde er wirklich krank. Seine Krankheit wurde immer schlimmer, bis er nicht mehr in sein geliebtes Siena zurückkehren konnte. Einer seiner engsten Freunde, Pier Guido, den ich in seinem Briefmarkenladen auf der Hauptstraße von Siena besuchte, erzählte mir, dass er in seinen letzten Jahren Roy stets anrief, während er das Rennen im Fernsehen verfolgte, um ihm davon zu berichten. Als nach einundvierzig endlosen Jahren die Raupe im
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