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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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Pienza fahren. Während sie das sagte, zog sie ihren grässlichen Lippenstift hervor, schürzte die Lippen und frischte ihr halloweenwürdiges Make-up auf.
    »Signora«, sagte ich, »Pienza ist zwar sehenswert, aber weil Sie Ihre Gäste in diesen beiden Tagen schon zweimal nach Montalcino geführt haben und sie die Stadt noch nie ansehen konnten, wäre es wahrscheinlich logischer, zuerst hier anzuhalten.«
    Kaum war mir das Wort »logischer« entwischt, wusste ich, dass ich Miss Goldberg gegenüber den falschen Ton angeschlagen hatte. Wie zu erwarten war, beharrte sie auf ihrer Programmänderung. Nun hatte ich den ganzen Tag ausführlich über die Weinindustrie und die Geschichte von Montalcino gesprochen und war nicht gewillt, meine ganze Arbeit zunichte machen zu lassen. Plötzlich erinnerte ich mich an die ersten Anzeichen von Unmut Miss Goldberg gegenüber, als wir aus Monte Oliveto verjagt worden waren. Also beschloss ich, einen anderen Weg einzuschlagen.
    »Gut«, sagte ich, »weil Sie alle Amerikaner sind und weil die USA die größte Demokratie der Welt ist, stimmen wir darüber ab.« Durch Handzeichen stimmte die Gruppe für Montalcino – vielleicht, um Miss Goldberg zu ärgern, vielleicht auch, weil man sich ausgerechnet hatte, dass der Umweg über Pienza eine erneute späte Ankunft in Siena bedeutete.
    Und so hielten wir, nachdem wir dem Gesang der Mönche gelauscht hatten, in Montalcino, einer der am besten bekannten und charakteristischsten mittelalterlichen Städte der Toskana. Aber der Besuch war Miss Goldberg aufgezwungen worden, und sie war nicht bereit, sich vom Charme des Städtchens überzeugen zu lassen. »Wir können hier nur fünfzehn Minuten anhalten«, beharrte sie – lächerlich, hatte sie doch zuvor beabsichtigt, die viel längere Fahrt nach Pienza zu machen.
    Montalcino ist kein großer Ort, aber nicht einmal Michael Johnson in seiner besten Sprinter-Verfassung wäre imstande, das Städtchen so rasch zu besichtigen. Die Gruppe tat ihr Bestes – aber viele hatten Angst, sich zu weit zu entfernen, weil sie fürchteten, nicht rechtzeitig zurück zum Bus zu kommen.
    Als alle wieder da waren, sagte Miss Goldberg, die sich noch immer über ihre Abstimmungsniederlage ärgerte, in ihr Mikrofon: »Diese Stadt ist einfach entsetzlich. Welche Zeitverschwendung!« Mit anderen Worten: Zwingen Sie mir nie wieder Ihre persönlichen Wünsche auf, sonst vergälle ich sie Ihnen! Auf der Rückfahrt nach Siena herrschte fast vollständiges Schweigen.
    An jenem Abend fühlte ich mich zu Hause völlig ausgepumpt. Mein einziger Trost war, dass ich nur noch einen einzigen Tag mit der Gruppe vor mir hatte. Als ich am Morgen sah, dass Nando moralisch und körperlich ebenso erschöpft war wie ich, sagte ich ihm, wie sehr ich ihn bedauerte. Es war mein letzter Tag – er dagegen musste diese Leute noch eineinhalb Wochen erdulden.
    Für diesen Tag stand der voraussichtliche Höhepunkt der ganzen Reise auf dem Programm: die Kochlektion in einem alten Schloss. Auch ich war sehr gespannt, weil schon viele meiner Kunden mir von dieser Köchin und ihrer beliebten Fernsehsendung erzählt hatten. Wir kamen beim Schloss an. Anfangs gab es ein kleines Durcheinander, weil man uns auf einen kurzen Rundgang schickte, bevor wir unsere Plätze in der alten, riesengroßen Küche einnehmen durften. Ich stellte fest, dass die Mitglieder der Gruppe endlich interessiert und aufmerksam waren. Sie schauten begierig zu, wie die adlige Köchin einen Schokoladekuchen, gefüllte Pfannkuchen und Hühnerbrüstchen an Rosmarinsauce zubereitete. Um das Gemüse für das Anrösten vorzubereiten, benutzte sie ein Wiegemesser. Diese mezzaluna oder Halbmond ist in der italienischen Küche ein sehr gebräuchliches Instrument, ein echter Alltagsgegenstand. Unter den Zuschauern dagegen rief das Messer erstaunte Ausrufe und Bewunderung hervor.
    Plötzlich waren alle hellwach und zogen Fotoapparate und Videokameras aus ihren Taschen hervor. In den vorhergehenden Tagen hatten sie sie so gut wie nie angerührt. Plötzlich war der Raum von Blitzen erhellt. Es flackerte wild an den Wänden und an der Decke, als ob eben eine Berühmtheit hereingekommen wäre. Nach all den Denkmälern, Abteien, Städten, Weingütern und Kunstwerken, die ich der Gruppe gezeigt hatte, hätte ich nie gedacht, dass ein einfaches Wiegemesser sie alle derart in Verzückung versetzen könnte.
    Als die Mahlzeit bereit war, begleitete uns die adlige Dame in eine prächtige Halle, wo

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