Toskanische Verführung (German Edition)
schlief er und wachte von seinem eigenen Schrei wieder auf ...
Er wandte sich ab. In der Küche war es warm und freundlich. Er konnte Kaffee trinken und lesen. Oder einfach nur dasitzen und versuchen, an gar nichts zu denken, auch nicht an den verlockenden, aufreizenden Mund dieser unglaublich impertinenten, respektlosen Flannery Gardner, die jetzt im Moment wahrscheinlich hinter diesem Fenster in der Bibliothek am Schreibtisch saß und auf einen elektronischen Flirt mit Hugo wartete.
Er lachte auf und stieß sich mit einer heftigen Bewegung von der Balustrade ab. Mit Hugo. Was für eine absurde, lächerliche Geschichte. Einen Moment lang blieb er vor dem Fenster stehen, das Tag und Nacht mit einem dichten Vorhang verschlossen war, legte die Hand gegen das kühle Fensterglas und stellte sich vor, wie sie zwischen den hohen Regalen saß, über die Tastatur gebeugt, in der kleinen Lichtinsel, die die Lampe über ihrem Tisch in die Dunkelheit warf, rund um sie die staubige, flüsternde Dunkelheit der Bibliothek. Er erinnerte sich, dass er sich als Kind oft dorthin geflüchtet hatte, wenn sein Vater wieder diesen Ausdruck in den Augen hatte. Er wusste, dass ein Streit folgen würde, bei dem die Stimme seiner Mutter immer höher, immer schriller wurde. Er konnte die Angst darin hören, die steigende Verzweiflung. Dann war er durch die schweren Türen geflüchtet, hatte sie hinter sich geschlossen und eine Weile nur dort gestanden und der wispernden, raschelnden, atmenden Stille gelauscht. Es war immer dämmrig in diesem Raum und immer brannte irgendwo eine einzelne Lampe unter einem grünen Schirm. Manchmal saß sein Großvater in einem der vielen Sessel, aber meistens war Licht in dem Zimmer unter der Galerie, und dann wusste er, dass er dort an die Tür klopfen und sich zu seinem Großvater retten konnte. Der alte Mann gab ihm etwas zu lesen oder einen Block, auf dem er kritzeln und später schreiben konnte, ein Pfefferminzbonbon und ein Lächeln.
Frieden. Das Rascheln von Seiten, die umgeblättert wurden, das Kratzen einer Feder auf Papier. Stille.
Sein Herz schmerzte vor Sehnsucht nach dieser friedvollen Zeit, nach der Gegenwart seines Großvaters, der nach Pfeifentabak und Pfefferminz roch, dessen Stimme sanft und leise war - der sich nicht in die Streitigkeiten seines Sohnes mit seiner Schwiegertochter mischte, der nie Partei ergriff, aber auch nie schlichtend dazwischen ging, der sich immer mehr zurückzog und die Welt vor der Bibliothek ausschloss.
Alessandro zwang sich, die geballte Faust zu entspannen und ruhig zu atmen. Das alles war längst Vergangenheit, die Beteiligten - bis auf ihn - zu Staub zerfallen. Dies hier war die Gegenwart. Die Schatten der Vergangenheit, die so düster über ihm lagen, gehörten mit all ihren Toten wieder zurück in ihre Gräber.
Er wandte sich heftig ab und ging in den Garten hinaus. Unter den Zypressen und Pinien war es noch finsterer, er konnte nichts mehr sehen, nur noch hören und riechen. Sein aufgewühlter Geist kam widerstrebend zur Ruhe. Er lehnte sich an die rissige Borke einer Pinie und lauschte dem Rauschen der Wellen.
Sein Handy klingelte und er verfluchte sich im Stillen, das lästige Ding nicht aus der Tasche genommen oder wenigstens abgeschaltet zu haben. Nach einem kurzen Blick aufs Display seufzte er und nahm das Gespräch an.
»Sandro, wir haben uns so ungut getrennt«, schmeichelte sich Alines rauchige Stimme in sein Ohr. »Ich habe dich zu einem ungünstigen Zeitpunkt belästigt, vergib mir. Störe ich dich jetzt?«
Wider Willen war er besänftigt. »Nein, es ist gut«, sagte er. »Ich war zu grob zu dir, deswegen hat mich Dawkins schon gemaßregelt.«
Sie lachte. »Näher an eine Entschuldigung werde ich nicht kommen, ich kenne dich. Danke.«
Er lächelte unwillkürlich. Aline hatte Humor, das hatte er an ihr immer geschätzt. »Ich habe darüber nachgedacht«, sagte er. »Wir sollten uns noch einmal treffen und es wie vernünftige Menschen beenden.«
Sie schwieg eine Weile. Dann atmete sie tief ein und sagte: »Warum sollten wir es überhaupt beenden? Wir haben uns gern, wir haben wunderbaren Sex miteinander - niemand wird dadurch geschädigt, wenn wir uns weiter treffen.«
»Aline«, unterbrach Alessandro sie, der mit steigender Ungeduld gelauscht hatte, »bevor wir unsere Beziehung begonnen haben, habe ich klar und deutlich die Spielregeln dafür benannt und du warst damit einverstanden.«
»Sandro, bitte«, rief sie unverkennbar ärgerlich.
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