Toskanische Verführung (German Edition)
Nach ihrem Tod hatte sein Vater ihn auf eine englische Privatschule geschickt. Maddalenas Schilderung wurde recht vage, als sie von der Tragödie erzählte. Ihre Stimme dämpfte sich, sie drückte gelegentlich ihren Schürzenzipfel an die Augen und stieß in Abständen kleine Laute des Entsetzens aus, als sähe sie einem Film zu, der vor ihr ablief. Flannery reimte sich die damaligen Geschehnisse so weit zusammen, dass Alessandros Mutter die Treppe hinabgestürzt war und sich das Genick gebrochen hatte. Und der Junge hatte das Unglück miterlebt.
»Wo war sein Vater?«, fragte Flannery betroffen. Was für ein schreckliches Erlebnis für ein Kind!
Maddalena brach in kleine, trockene Schluchzer aus, die eher aufgebracht als traurig klangen. »Ah, es hat so viel schlimmes Gerede gegeben«, sagte sie. »Böse Zungen hier im Dorf, übler Tratsch. Natürlich war er kein Heiliger, der Signor Eligio. Ganz und gar kein Heiliger. Die Frauen. Und er hat wirklich zu viel getrunken, keine Frage. Aber er hätte niemals im Leben so etwas Schreckliches getan. Niemals!«
Flannery stockte der Atem. »Sie wollen sagen, dass man sich erzählt, er habe seine Frau ...« Sie machte eine Bewegung, als stieße sie jemanden von sich.
Maddalena bekreuzigte sich. »So viel böses Gerede«, wiederholte sie. »Auch, dass er den Jungen, den einzigen Zeugen des Unglücks, danach so weit fortgeschickt hat. Signor Alessandro ist nur noch zu kurzen Besuchen nach Hause zurückgekehrt, bis sein Vater unter der Erde war!« Sie schniefte und putzte sich die Nase. »Der alte Conte hat allen verboten, darüber zu reden. Auch später, als der Unfall passierte, und die junge Signora Elga starb ...« Sie unterbrach sich und wandte sich hastig ab, um im Spülbecken herumzuhantieren.
Flannery hatte die Schritte auch gehört. Sie griff nach der Morgenzeitung und gab vor, das Titelblatt zu studieren.
»Gardner, Sie sehen ungewöhnlich frisch und munter aus«, begrüßte sie der Sekretär. Er zwinkerte ihr ironisch zu und bediente sich an der Kaffeemaschine. »War eine lange Nacht, hm?«
Flannery rieb sich die Schläfen. »Dawkins, hat Ihnen mal jemand gesagt, dass Sie eine unverschämt freche Schnauze haben?«
»Ständig«, murmelte er. Er fischte einen Keks aus der Dose, die neben der Kaffeemaschine stand und erntete ein Schnauben von Maddalena. »Christos kommt gegen fünf«, sagte er kauend und wischte Krümel von seinen Fingern. »Der Herr und Meister erwartet Sie gestiefelt und gespornt um acht in der Halle.«
Flannery sah ihn verständnislos an. »Wer ist Christos und was habe ich mit ihm zu schaffen?«
Dawkins nahm einen zweiten Keks, grinste Maddalena an und trug seine Tasse zur Tür. »Der Coiffeur, Darling«, erwiderte er. »Heute Abend findet doch der große Auftritt unseres bibliophilen Aschenputtels statt. Verpassen Sie die Kutsche nicht.«
»Oh«, murmelte Flannery und starrte auf die Küchentür. »Ich dachte, das wäre ein böser Traum gewesen.«
So viel also zu ihrem freien Nachmittag. Flannery sah auf die Uhr. Wenn sie sich sputete, konnte sie wenigstens noch eine Runde schwimmen, das würde die ärgste Müdigkeit vertreiben und den Nebel aus ihrem Kopf jagen.
Vom Schwimmen kam sie erfrischt und mit guter Laune zurück und lief auf dem Weg in ihr Zimmer prompt dem Conte in die Arme. Er schien auf sie gewartet zu haben, denn er stand von einer kleinen Chaiselongue auf, warf die Zeitung beiseite, in der er gelesen hatte, und bedeutete ihr, sie solle ihm folgen. Flannery hob mit einem ironischen Lächeln die Brauen. »Weitere Anweisungen an ihre Untertanen, Majestät?«, fragte sie zuckersüß.
Er erwiderte ihren Blick mit einer Miene, die eher schuldbewusst als zornig schien, und hielt ihr die Tür zu einem kleinen Salon auf, den sie noch nie betreten hatte. »Setzen Sie sich«, sagte er und ging zum Fenster, um es zu öffnen.
Flannery wählte einen bequemen Sessel, ließ sich hineinsinken und schlug die Beine übereinander. Sie sah den Grafen abwartend an.
Der stand mit nachdenklich gesenktem Kopf am Fenster und schien ihre Anwesenheit beinahe vergessen zu haben. Seine Hände drehten unruhig an dem Fenstergriff.
»Signor della Gherardesca?«, fragte Flannery nach einer Weile.
Er drehte sich zu ihr um und einen erschreckten Moment lang fürchtete Flannery, er werde vor ihr auf die Knie sinken oder sie umarmen oder sonst etwas tun, womit sie nicht umzugehen wusste. Jede Reserviertheit war aus seinem Gesicht gewichen, seine Blicke
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