Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
Umziehen fielen ihr die bunten Farben hinter dem weißen Duschvorhang auf. Sie zog den Vorhang zur Seite. Glitzernde Regenbogenfischabziehbilder bedeckten das Innere der Badewanne, dazwischen hingen zwei Netze, die bis zum Rand mit Kinderbadespielzeug gefüllt waren.
Caitlyn berührte eines der Fischbilder. Könnte leicht entfernt werden, genau wie die zwei Netze. Dennoch war beides zwei Jahre später immer noch hier, wartete schön sauber auf die Rückkehr des kleinen Besitzers.
Wenn Sarah ihren Mann und ihren Sohn umgebracht hatte, für wen war dann das Spielzeug? Sollte sie schuldig sein, hatte sie dann vielleicht wegen ebendieser Schuld eine Art Nervenzusammenbruch erlitten? Das könnte eventuell ihre extreme Trauer erklären, die Besessenheit, mit der sie nach den Gräbern gesucht hatte. Sie wollte die schreckliche Tat wieder ungeschehen machen.
Caitlyn sammelte ihre Kleider zusammen und stopfte alles in ihre Reisetasche. Keine ihrer Theorien fühlte sich richtig an. Sie übersah irgendetwas.
Als sie aus dem Gästebad kam, hörte sie Wasser im anderen Badezimmer laufen. Sie nutzte die Gelegenheit, um sich rasch in Sarahs Schlafzimmer umzusehen. Dort stand ein großes Doppelbett, in dem nur auf der einen Seite geschlafen wurde. Es war leicht, zu erkennen, welche Seite Sams gewesen war – das Notizbuch mit Songtexten lag noch da, und ein Glas mit bunten Filzstiften stand neben der Nachttischlampe. Alles schien auf ihn zu warten, genauso wie das Spielzeug auf Josh.
Caitlyn wagte nicht, die knarrenden Holzstufen zu dem Dachboden hochzugehen, der zu Joshs Kinderzimmer ausgebaut worden war, durchsuchte dafür aber schnell noch Sams Büro. Nichts, nur Hinweise darauf, dass Sarah den Berg nach etwas absuchte. Nach Sam und Josh? Oder nach Leo Richland?
Vielleicht hatte sie ja genau das gefunden, wonach sie Ausschau gehalten hatte.
Als Caitlyn in die Küche kam, stand Sarah mit nassem Haar in Jeans und einem langärmeligen Shirt am Herd und schlug Eier in die Pfanne. Zwar wirkte sie immer noch nervös, doch schon ein wenig ruhiger, als hätte sie während des Duschens eine Entscheidung getroffen. Oder mit jemandem geredet. Vielleicht war die Dusche nur ein Vorwand für einen heimlichen Anruf gewesen?
Die Mikrowelle meldete sich mit einem hellen Ping! Beide Frauen erschraken. Sarah wandte sich von den Eiern ab und holte zwei Tassen dampfenden Tee heraus.
»Riecht köstlich«, sagte Caitlyn und nahm Sarah einen Becher ab. »Gar nicht wie Tee, eher« – sie schnupperte –, »ich weiß auch nicht, nach der Küche meiner Großmutter.«
»Er heißt ›Gute Erde‹. Soll beruhigend wirken. Die Frau des Colonels hat ihn mir gegeben, nachdem … « Sarah lachte gezwungen und nahm einen kleinen Schluck aus ihrer Tasse. Als Caitlyn aufblickte, bemerkte sie, wie ein seltsamer Ausdruck über Sarahs Gesicht huschte. Irgendwie belustigt und gleichzeitig wütend.
»Vielen Dank, dass ich mich hier frisch machen durfte.« Sie schlürfte ihren heißen Tee, während Sarah sich wieder den Eiern widmete. Schmeckte nach Zimt und Gewürzen. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir einige Fragen zu Chief Waverly zu beantworten?«
Sarah straffte sich, lehnte sich mit dem Pfannenwender in der Hand gegen die Küchentheke. »Nein, wohl nicht, wo Sie heute Morgen schon sein Hemd anhatten. Aber sollten Sie da nicht lieber ihn fragen?« Sie zögerte und schaute Caitlyn kritisch an. »Ich meine, falls Sie so an ihm interessiert sind.«
Das Letzte, worüber Caitlyn hier sprechen wollte, war ihr Interesse am Polizeichef. Oder wie es dazu gekommen war, dass sie sein Hemd getragen hatte. Irgendwie hatte Hal jedoch eine Rolle in der Tragödie gespielt, die Sarah ereilt hatte. Nur zu gerne hätte sie darüber Näheres erfahren. »Er sagte, seine Frau sei an Krebs gestorben. Kurz bevor Sie ihren Mann und ihren Sohn verloren haben.«
Sarah rührte laut klappernd in der gusseisernen Pfanne. Endlich schaltete sie den Herd aus, schaufelte das Rührei auf die bereitgestellten Teller und brachte sie zum Tisch. Ihr Blick war klar, doch die Lippen wirkten blass. »Eigentlich sollte ich nichts sagen – das geht mich schließlich nichts an –, und es kann wohl kaum mit Sam und Josh zu tun haben, aber … «
Caitlyn wartete. Sarah hatte die Worte hervorgestoßen, jetzt schien sie mit den Gedanken abzuschweifen. Die Uhr tickte, der Kühlschrank summte, und ein einzelner verirrter Rosenzweig kratzte am Fenster über der Spüle. Caitlyn langte ordentlich
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