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Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Titel: Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Lyons
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zu, überrascht, wie ausgehungert sie war. Sarah rührte in ihrem Essen herum, nahm jedoch keinen einzigen Bissen zu sich. Endlich nickte sie kurz, als ob sie zu einem Entschluss gekommen wäre.
    »Hal und ich sind hier aufgewachsen. Ich bin mit acht Jahren nach Hopewell gekommen, er hat sein ganzes Leben hier verbracht. Wir sind schon ewig befreundet. Ich hätte das gar nicht sehen dürfen.«
    »Was sehen, Sarah? Wie ist Hals Frau wirklich gestorben?«
    Sarah ließ die Gabel in das unangetastete Rührei sinken. »Sie ist zu den Upper Falls gefahren, hat sich nackt ausgezogen und ist gesprungen.«
    Caitlyn schob die Tasse weg und beugte sich vor, die Ellbogen auf dem Tisch. »Sie hat sich umgebracht? Und Hal? Wo war er?«
    »Er hätte sie aufgehalten, wenn er gekonnt hätte. In diesen letzten Wochen hat er sich rund um die Uhr um sie gekümmert, müssen Sie wissen. Wir anderen, ach, wir sind vorbeigekommen, haben ihm etwas zu essen gebracht, unser Bestes getan, um ihm zu helfen. Aber Lily, sie war –« Sarah zuckte kurz mit den Achseln, presste die bleichen Lippen aufeinander. »Am Ende war sie nicht mehr die Frau, die wir gekannt hatten. Der Schmerz hatte sie verändert. Als ob sie besessen gewesen wäre. Hal war der Einzige, der sie beruhigen, sie davon abhalten konnte, sich selbst oder anderen etwas anzutun.«
    Caitlyn wusste aus eigener Erfahrung, wovon Sarah sprach. Und sie fragte sich, ob seine so wohltuenden, heilsamen Berührungen wohl ihr Urteilsvermögen getrübt hatten. »Die Ärzte konnten dabei nicht helfen?«
    »Hals Versicherung hat längst nicht mehr gezahlt. Außerdem hätte sie laut den Ärzten eine so hohe Dosis an Morphium gebraucht, dass es sie vielleicht umgebracht hätte. Hal wollte das auf keinen Fall – selbst wenn er es sich hätte leisten können, sie wieder ins Krankenhaus zu schicken. Sie haben dann Mitarbeiter von einem Hospiz vorbeigeschickt, aber das hat alles nur noch schlimmer gemacht. Lily war außer sich, sagte, sie würden versuchen, sie umzubringen und die ganze Stadt zu vergiften, und nur sie selbst könne uns noch retten.«
    »Retten, wovor?«
    »Aus irgendeinem Grund war sie davon überzeugt, die alte Indianerlegende vom Donnergott sei wahr. Darin opfert sich eine indianische Jungfrau, indem sie sich von den Fällen stürzt, und ihr Liebhaber, der Donnergott, entreißt sie in letzter Sekunde dem Tod.«
    »Und rettet damit zugleich auch den gesamten Ort?«
    Sarah nickte und verfiel in längeres Schweigen. »Hal hat sich niemals vergeben, dass er an jenem Abend nicht ans Telefon gegangen ist. Er konnte sich keine Krankheitstage mehr erlauben, der Gemeinderat hatte ihm bereits etwas vorgeschossen, damit die Bank ihm nicht die Hypothek kündigte, also hat er, so gut es ging, von zu Hause aus gearbeitet. Zu diesem Zeitpunkt drehte Lily allein beim Anblick eines anderen Menschen durch, wir konnten ihm also kaum helfen.
    Und dann sind an dem Abend ein paar Jugendliche zum Nacktbaden in den Stausee gesprungen. Sie hatten dabei allerdings nicht bedacht, dass das Ufer viel zu stark abfällt, als dass sie wieder hätten herausklettern können, also waren sie nackt im See und kamen nicht wieder raus. Hal wurde per Funk gerufen und fuhr hin, um sie da rauszuholen. Das war auf den Tag genau vor zwei Jahren.«
    »Und Lily?«
    »Sie muss gleich nach Hal losgefahren sein. Mir ist schleierhaft, wie sie auf den Berg gekommen ist, ohne von der Straße abzukommen und hinunterzustürzen. Denn die Autopsie ergab, dass die Menge an Schmerztabletten und Beruhigungsmitteln, die sie im Körper hatte, einen ausgewachsenen Grizzlybären umgebracht hätte. Als Hal bemerkte, dass sie fort war, ist er ausgeflippt. Dann haben wir den Wagen gefunden, und uns war klar, was passiert sein musste.« Sie hob den inzwischen kalt gewordenen Tee an die Lippen, die Tasse hielt sie so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten.
    »Zwei Tage später haben wir ihre Leiche gefunden – am selben Ort, an dem ich gestern den Toten entdeckt habe.«
    Caitlyn lehnte sich zurück, vergaß ihren Tee und kratzte sich geistesabwesend am Arm. Ihr ganzer Körper vibrierte irgendwie – entweder war sie übermüdet, oder es waren noch die Nachwirkungen der sexuellen Eskapade, da war sie nicht sicher. Ihre Haut spannte, am liebsten hätte sie sie abgestreift.
    »Da fallen bestimmt viele Überstunden an, wenn man hier in der Gegend Polizeichef ist«, sagte sie und rutschte auf dem Stuhl hin und her. »Besonders, wenn man

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