Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
Waverly«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Ich bin Grigor Korsakov.«
»Wen haben Sie da? Sie müssen diese Menschen gehen lassen.«
Grigor konnte kaum fassen, dass Waverly die Unverfrorenheit besaß, Ansprüche zu stellen. Das war genauso grobklotzig und geschmacklos wie seine Einrichtung. Erkannte der Mann nicht, dass diese Situation Fingerspitzengefühl erforderte? War ihm nicht klar, dass er keinerlei Autorität mehr besaß?
Grigor wandte sich Waverly zu. »Nein. Sie müssen das tun. Wählen Sie einen von beiden aus!«
Das Gesicht des Polizeichefs war eben noch ganz zerknittert vom Schlaf gewesen, nun wurde es von der aufsteigenden Verwirrung belebt. Stolz, Entrüstung, Wut, dann endlich erblickte Grigor die Emotion, die er wollte: Angst.
»Was meinen Sie damit? Lassen Sie das Paar frei! Sofort!« Der typische Befehlston eines Polizisten. Grigor ignorierte ihn. Waverlys Hand glitt zu der Stelle, an der sich seine Waffe befunden hätte, wenn er mehr als Jeans und T-Shirts am Leib gehabt hätte. Immerhin, das musste Grigor ihm lassen – er gab so schnell nicht klein bei.
»Ich fand es nur fair, Ihnen zu demonstrieren, was geschieht, wenn Sie meinen Anweisungen nicht haargenau Folge leisten«, sagte Grigor.
Waverly wirbelte herum, wollte sich auf Max stürzen, aber der hatte bereits seine Waffe gezogen und zielte auf den Hinterkopf der gefesselten Frau.
»Sie gehören jetzt zur Familie, Chief Waverly. Bis heute war Geld der Kitt, der unsere Beziehung zusammenhielt; von meinen Angehörigen erwarte ich jedoch unbedingte Loyalität. Sie haben die Wahl. Er stirbt, und sie lebt. Oder umgekehrt.«
Bei diesen Worten zerrten der Mann und die Frau noch verzweifelter an ihren Fesseln und versuchten, zu schreien, obwohl sie geknebelt waren. Grigor beachtete sie nicht, sondern konzentrierte sich ganz auf den Chief.
»Ich habe alles getan, was Sie von mir verlangt haben. Weggesehen, als Ihre Männer im Dorf herumgeschlichen sind, Ihnen die Akte von Sams Mord zur Verfügung gestellt. Es gibt also keinen Grund, unschuldige Zivilisten umzubringen.«
Der Chief klang entmutigt. Grigor schwieg und genoss die Frustration und Verzweiflung in Waverlys Gesicht.
»Ich werde das nicht tun«, fuhr er mit seiner Verteidigungsrede fort. »Lassen Sie beide gehen, und ich werde alles tun, was ich Ihnen versprochen habe. Wenn Sie aber einem der beiden etwas tun, sind wir fertig miteinander.«
»Ts!«, unterbrach ihn Grigor. Max grinste. Er wusste, was jetzt kommen würde. »Das wird nicht ausreichen, Chief Waverly. Ganz und gar nicht. Sie gehören mir, wissen Sie das nicht? Genau wie dieser Ort. Wenn irgendjemand versuchen sollte zu fliehen, wird er sterben. Jeder, der sich wehrt, wird sterben. Wenn Sie den Anweisungen nicht nachkommen, werden Ihre Mitbürger, all die unschuldigen Menschen, zu deren Schutz sie sich verpflichtet haben, sterben.
»Das können Sie nicht machen.«
»Selbstverständlich kann ich das. Ich kann alles tun, wonach mir der Sinn steht.« Grigor machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung des Pärchens. »Und jetzt wählen Sie!«
»Nein. Das werde ich nicht. Hören Sie, das FBI ist hier. Die haben Sarah. Besser, Sie verschwinden, so lange Sie können. Ich werde auch niemandem etwas verraten, das verspreche ich.«
Grigor legte Waverly sanft die Hand auf den Arm, drehte sich so weit um, bis er dem jungen Paar zugewandt dastand. »Wegen des FBI s mache ich mir keine Sorgen. Aber darum geht es auch gar nicht. Das hier ist eine Angelegenheit zwischen Ihnen und mir. Wählen Sie!«
Waverly blieb stumm, ein Muskel an seiner Wange zuckte, und er kniff die Augen zusammen, während er sich bemühte, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden. Noch ein optimistischer Narr.
»Auch gut! Dann werde ich an Ihrer Stelle wählen.« Grigor krümmte einen Finger, als hielte er eine Pistole in der Hand und zielte auf das Mädchen. »Ene, mene, muh, und raus bist … « Er zielte dabei abwechselnd auf die beiden Gefangenen. »… du.«
Als er auf den jungen Mann deutete, wurden dessen Augen so groß, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Plötzlich wurde sein Kopf ruckartig nach hinten gerissen, schlug am Baum an, und auf der Stirn war genau in der Mitte ein perfekter Kreis zu sehen, wie ein drittes Auge. Das einzige Geräusch war ein lautes Knack! , als das Hochgeschwindigkeits-Projektil auf die Borke traf.
»Genau so wird es jedem ergehen, der irgendwann irgendwie aus der Reihe tanzt«, erklärte Grigor Waverly.
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