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Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Titel: Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Lyons
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einer Schlange – und unterhalb der Frau stand ein Mann, bereit, sie entweder zu erlösen oder zu verdammen.
    Die Fenster waren vernagelt, die Kratzspuren an den Rändern verrieten, dass jemand verzweifelt versucht hatte hinauszugelangen. An der Tür fanden sich noch mehr dieser Kratzspuren und ein glänzendes, stabiles Schloss. Hinten am Kopfteil des Bettes lugten mit Lammfell ausgelegte Lederhandschellen unter der samtig glänzenden Tagesdecke hervor.
    Er blieb mitten im Raum stehen, erfüllt von der dunklen Energie und den Empfindungen und Bildern, die sie heraufbeschwor. Ja, ein gutes Haus!
    Das Badezimmer am anderen Ende des Flurs war mit Medizinfläschchen übersät. Decadron. Ativan, Trazodon, Darvon, Ambien, Oxycontin. Eine Fülle von Medikamenten für Patienten während einer Chemotherapie – Antidepressiva, Schmerz- und Beruhigungsmittel. Alle vor etwa zwei Jahren verschrieben. Für Lily Waverly. Ah, die tote Ehefrau! Ohne sie und Damian Wright hätte er vielleicht niemals herausgefunden, wo Stan sich versteckt hielt.
    Zwei kranke Seelen, die sich niemals begegnet waren, ihn jedoch gemeinsam hierhergeführt hatten. Kismet.
    Zum Schluss schaute er noch kurz nach dem Chief, dessen Schnarchen das kaum hörbare Rauschen des Wasserfalls ganz in der Nähe begleitete. Max hatte ihm den Anlegeplatz und Aussichtspunkt oberhalb der Straße gezeigt, dort, wo sich an der Flussbiegung ein ruhigerer Flussabschnitt befand, noch vor den gefährlichen Stromschnellen und den gewaltigen Lower Falls , deren Wassermassen gut dreihundert Meter tief in die Schlucht hinabstürzten.
    Er betrachtete den Chief, der nichts ahnend schlief, ohne eine Vorstellung davon, was ihm bevorstand.
    Dieses Schlafzimmer ähnelte einer Klosterzelle. Das Kopfende des Doppelbettes war reich verziert, passend zur Kommode. Abgesehen davon gab es jedoch keinerlei persönliche Gegenstände, wenn man von dem einen gerahmten Foto absah. Ein Hochzeitsfoto. Zwei Leben, am Anfang ihrer gemeinsamen Reise, selbstvergessen blickte das Paar einander in die Augen.
    »Weck ihn auf! Bring ihn zu der Lichtung«, befahl Grigor Max.
    Dann schlenderte er nach draußen und atmete die sonnengetränkte Luft ein. Nachdem Alexi Position bezogen hatte, hatten sie den Geländewagen und den Toyota, den sie auf dem Weg nach Hopewell an sich gebracht hatten, nahe dem Wanderweg geparkt. Er führte zu der Lichtung, auf der Stan umgebracht worden war.
    Bis zur Lichtung war es nur ein kurzer Marsch von Hal Waverlys Haus den Berg hinunter. Abgesehen vom sentimentalen Wert als der Todesstätte von Stan war die Stelle ideal für Grigors nächste Inszenierung. Sie bot freie Sicht auf den Staudamm und den Feuerwachturm, dennoch lag sie weit genug abseits, damit kein Geräusch durch die umstehenden Baumreihen nach draußen drang.
    Er traf noch vor Waverly und Max dort ein. Das Pärchen aus dem Toyota rang mit den Fesseln, als ob es irgendeine Hoffnung für sie gäbe zu entkommen. Narren. Er schüttelte den Kopf und lächelte. Narren, die noch Hoffnung besaßen. Die beste Unterhaltung, die es gab.
    Sie waren jung, vielleicht Mitte zwanzig, in Angstschweiß gebadet. In den weit aufgerissenen Augen spiegelte sich ihre Panik. Beide waren einander zugewandt an Bäume gebunden und verständigten sich mit von den Knebeln gedämpften Grunzlauten. Sie wandten den Blick nicht vom anderen ab. Genau wie das Paar auf dem Hochzeitsfoto.
    Das erstaunte ihn. Max hatte das Pärchen an einer Tankstelle etwas abseits des Highways bei Albany aufgegabelt. Keine Eheringe, in den Ausweisen standen verschiedene Nachnamen – dennoch verhielten sie sich, als ob sie zusammengehörten.
    Grigor war schleierhaft, was die Leute mit dem Wort Liebe meinten. Der Begriff wurde derartig nachlässig gebraucht, dass er wohl jegliche Bedeutung verloren hatte. Dennoch wusste Grigor um die Intensität dieses Gefühls – obwohl es ihm selbst niemals vergönnt gewesen war. War Stan gestorben, während er versuchte, sein Kind zu retten? Wäre er für seine Ehefrau gestorben?
    Eines stand jedenfalls fest. Die Ehefrau würde mit Stans Namen auf den Lippen sterben. Ob sie ihn sehnsüchtig oder voller Hass ausrufen würde, das hatte Grigor noch nicht entschieden.
    Fasziniert betrachtete er das fein ausbalancierte Spiel aus Licht und Schatten auf den Gesichtern des Pärchens – die beiden sahen dadurch aus, als wären sie in kleine Puzzleteile zerlegt. Da hörte er hinter sich Schritte. »Wirklich schön, Sie kennenzulernen, Chief

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