Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
gestorben war?
Grigor hob die Hände, ein imaginäres Gemälde vor Augen. Ihm ging es immer um das ganze, große Bild. Die meisten Menschen erkannten niemals, dass sie nur kleine Tupfer auf der Leinwand des Universums waren, doch Grigor war das sehr wohl bewusst. Und er wusste auch um seine Macht, diese Leinwand zu verändern, sein Abbild selbst zu gestalten, indem er möglichst viele der kleinen Tupfer unter seine Kontrolle brachte.
Grigor war Großes vorherbestimmt, er würde der Welt seinen Stempel aufdrücken, in die Geschichte eingehen. Genau wie sein Großvater. Wie Stalin. Einen Stempel aus Blut und Angst, einen Stempel, der sich unauslöschlich in das Gedächtnis vieler Generationen eingraben würde. Sein Werk würde ihn unsterblich machen.
Max zappelte nervös herum, als Grigor ihn, umrahmt von Daumen und Zeigefingern, betrachtete. »Alles klar, Boss?«
Ein träges Lächeln teilte Grigors Lippen. »Aber ja. Alles prima. Ich denke, ich habe verstanden, warum ich hier bin, was mir vorherbestimmt ist.«
»Äh, ich dachte, du wolltest das Mädel schnappen und herausfinden, wo Stan das Geld versteckt hat, das er dir gestohlen hat«, sagte Max, als wäre sein Chef begriffsstutzig. Dann riss er sich von Grigors durchdringendem Blick los und deutete auf die große Anzahl Fotos an der Wand und auf dem Kaminsims. »Hübsches Kind, muss man sagen.«
»Sehr hübsch«, gab Grigor ihm recht, während er mit einem Finger über ein Foto von Stan strich, der einen aufgeweckten Knirps im Arm hielt. »Erinnerst du dich an den Abend, an dem wir den Mulholland Drive entlanggefahren sind? Als Alexi den Hund überfahren hat und Stan aus dem Wagen gesprungen ist, um sich um ihn zu kümmern?«
»Ja. Strömender Regen, überall Matsch und umherschlitternde Autos – Stan hat sich fast um Kopf und Kragen gebracht. All das für einen Köter, der sowieso draufgegangen ist.«
»All das für einen Köter.« Grigor besah sich die anderen Familienfotos ganz genau. Das Funkeln in Stans Augen, nie schaute er direkt in die Kamera, stets war seine Aufmerksamkeit seiner Familie zugewandt. Sein Ein und Alles. »Logan sagte, Alan sei direkt nach dem Mord an Stan und dem Jungen hier aufgetaucht.«
»Schätze, er wollte herausfinden, ob die Frau irgendwas von dem Geld wusste, das Stan abgezweigt hatte.«
»Und wenn Stan nun gar nicht tot ist? Was wäre, wenn er wusste, dass Alan hinter dem Geld her war, sich also den Jungen geschnappt und aus dem Staub gemacht hätte?«
»Das wäre ein Ding. Aber dieser Kerl in Texas hat gestanden.«
»Geständnisse kann man kaufen.« Das hatten dann wohl seine sogenannten Partner, Logan und Easton, bewerkstelligt. Verräter.
»Weshalb würde er die Frau zurücklassen? Die sehen doch echt glücklich aus.«
»Vielleicht hatte er keine Wahl, keine Zeit.« Grigor trommelte mit den Fingern auf das Glas direkt über dem hübschen herzförmigen Gesicht von Sarah Durandt. »Und jetzt hat sein Glück ihn verlassen.«
»Du denkst, er wird zurückkommen? Weil er weiß, dass du nach ihm suchst? Das wäre reiner Selbstmord.«
»Der Mann ist bereits einmal gestorben, kann ihm also egal sein, oder nicht?« Grigor lachte über diesen Gedanken, ein Geräusch, das ihm in der Kehle brannte. Er hatte seit langer Zeit nicht mehr gelacht, noch länger war es her, dass er irgendetwas derartig amüsant gefunden hatte. »Zuerst erzählt Logan, er hätte herausgefunden, wo Stan sich all die Jahre versteckt hat, in denen ich im Gefängnis saß; und zugleich wollen Alan und er angeblich alles tun, um das gestohlene Geld wiederaufzutreiben – halten die mich für bescheuert? Dachten sie, dass ich den Verrat nicht durchschauen würde? Sie wussten von Stan und dem Geld, lange bevor sie es für nötig gehalten haben, mir davon zu berichten.«
Bei Grigors gefährlichem Unterton zuckte Max zusammen. »Nun, zu denen kommen wir auch noch. Keine Sorge, wir werden sie alle erwischen.«
»Meine Familie hat mich verleugnet, meine eigenen Leute haben mich hintergangen – jeder in diesem Ort hier hat Schuld auf sich geladen; sie alle haben verborgen, was rechtmäßig mir gehört! Die da … « Er fegte mit einer Armbewegung die Fotos vom Kamin. Sie fielen zu Boden und zersprangen, aber Sarahs Gesicht schien durch die Scherben zu ihm aufzusehen, ihn auszulachen. »… hat den Bastard geheiratet, der mir das alles angetan hat; ihm einen Sohn geboren.«
»Grigor, beruhige dich! Du weißt, Alexi und ich sind für dich da, Kumpel. Sag uns
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