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Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Titel: Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Lyons
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war, als hätte man ihr sämtlichen Sauerstoff vollständig aus dem Körper gepumpt, bis die Atemorgane aufgaben.
    Mit großer Mühe sog sie die prickelnd kühle Luft ein, doch dabei spürte sie Stiche in der Lunge. Ihr ganzer Oberkörper brannte; das gab morgen bestimmt einige heftige blaue Flecke. Immerhin würde sie den nächsten Tag noch erleben.
    Der Fluss schien dröhnend zu lachen, spritzte ihr Wasser ins Gesicht, wie um sie zu warnen, dass er jederzeit bereit war, falls sie wieder strauchelte. Nach einem weiteren tiefen Atemzug stabilisierte sie sich mit Hilfe des Seils und zog das im Wasser gefangene Bein aus dem Schlick. Gott sei Dank blieb der Stiefel nicht darin stecken.
    Sie ließ sich wieder auf den Felsen fallen, um ihren schaurigen Fund näher in Augenschein zu nehmen. Die Kamera schien noch intakt zu sein, obwohl ihr Rucksack beim Sturz auf dem Stein aufgeschlagen war.
    Der Kopf des Toten wirkte deshalb geschwollen, weil die Knochen sich verschoben hatten. Der Unterkiefer hing an einer Seite herunter. Fleisch, Augen, Zunge – alles war fort, ebenso einige Zähne, die ein klaffendes Loch hinterlassen hatten. Die Schädelknochen schimmerten an einigen Stellen durch, waren jedoch zum größten Teil mit einer fettig glänzenden gelbbraunen Schicht aus Leichenwachs und Algen überzogen, in der sich noch einige Haarsträhnen fanden.
    Die Kleider des Mannes waren erhalten geblieben – deswegen hatte der Fluss die sterblichen Überreste auch nicht auseinanderreißen und verstreuen können. Unter einer schwarzen Windjacke trug der Tote etwas, das wohl einmal ein hellblaues Hemd gewesen sein musste, mit Button-down-Kragen.
    Hatte Sam ein solches Hemd besessen? Vielleicht, wahrscheinlich. Jeder Mann hatte doch so ein Bürohemd im Schrank, selbst ein Vater, der von zu Hause aus arbeitete, so wie Sam.
    Sarah zog sich der Magen zusammen, Galle stieg ihr die Speiseröhre hinauf, atmen konnte sie nur noch durch den Mund. Nicht wegen des Geruchs, obwohl inzwischen genügend von der Leiche freigelegt war, dass sich ein ekelhaft süßlicher Gestank breitmachte, sondern weil ihr schwarz vor Augen war und sie anfing zu hyperventilieren.
    Also wandte sie sich von dem Kopf ab und konzentrierte sich auf den Fluss. Hier unten, direkt an der Oberfläche, machte er einen trügerisch harmlosen, ja fast ruhigen Eindruck. Das von weißer Gischt gekrönte vorbeiströmende Wasser schlug gegen den Fels, den sie für sich beansprucht hatte, und wurde dann in den Strudel gezogen, der sich an dieser Stelle bildete. Obwohl Sarah die Sicht auf den Wasserfall versperrt war, konnte sie ihn hören, spürte sein stetes Grollen.
    Als sie wieder ruhig atmete, beugte sie sich nach vorn, so nahe wie möglich zu der Armbanduhr hin, die immer wieder aus dem Wasser auftauchte.
    Sie hatte ein dunkelblaues Ziffernblatt mit römischer Zahlendarstellung. Sams Uhr hatte doch ganz sicher ein weißes Ziffernblatt und normale Zahlen gehabt?
    Mit zitternden Händen verstaute sie die Handknochen in einer Plastiktüte, die sie sorgfältig verschloss, damit nichts herausfallen konnte. Sie war nicht sicher, ob sie größere Angst davor hatte, dass es nicht wirklich Sam war oder dass er es sein könnte, obwohl ihr Verstand sie unablässig davon zu überzeugen versuchte, er sei es nicht.
    War sie vollkommen verrückt geworden? Hatte sie nach zwei Jahren, in denen sie sich der Vorstellung hingegeben hatte, er könnte noch am Leben sein, vor lauter Schmerz und Verzweiflung jetzt endgültig den Verstand verloren?
    Das hier musste Sam sein. Ohne jeden Zweifel. Er war der einzige männliche Erwachsene, der am Snakehead vermisst gemeldet worden war.
    Sarah wollte ihre Lippen befeuchten, doch ihr Mund war viel zu trocken. Ein Rabe krächzte, sein Ruf fing sich zwischen den Felswänden in der engen Schlucht. Sie ließ einen Finger unter das silberne Armband gleiten und hob es von dem Zweig, in dem es sich verhakt hatte.
    Dann drehte sie die Uhr um. Die zwei Knochen, die darunter hingen, rieben mit einem unnatürlichen dumpfen Knirschen gegeneinander. Sie verdrehten sich auf eine absolut nicht menschliche Art und Weise.
    Die Rückseite der Uhr war mit einem grünen Algenfilm überzogen. Sie kratzte ihn mit dem Fingernagel ab. Nach und nach traten die Einkerbungen einer Inschrift hervor.
    LR . Sie kratzte weiter, hoffte, mehr zu finden. Aber das war alles. Nur diese zwei Buchstaben.
    Sarah ließ sich auf ihr Gesäß fallen, während der glucksende Fluss neben ihr über

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