Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
Name, endlich davon überzeugen konnte, dass sie tatsächlich eine waschechte Agentin der amerikanischen Bundesbehörde war, hatte sie es sich im Bürosessel des Chiefs gemütlich gemacht, während die Postmeisterin sich weiter über terroristische Aktivitäten und Gelder des Ministeriums für Innere Sicherheit ausgelassen hatte, über merkwürdige Vorkommnisse am Staudamm und darüber, dass es auch Zeit sei, dass die Regierung jemand »Richtiges« schickte, der sich darum kümmerte.
Endlich hatten Kunden des Postamts die Monologe des alten Tantchens unterbrochen. Daraufhin hatte Caitlyn die relative Ruhe ausgenutzt, den Laptop angemacht und war nochmals ihre Akten durchgegangen.
Und eingeschlafen. Jetzt blickte sie durch die offene Tür, die das Postamt von der Polizeiwache trennte. Die Nachmittagssonne fiel hindurch, sodass der Mann im Rahmen nur als Umriss zu erkennen war. Er war schlank wie Gary Cooper und trug ebenfalls einen Cowboyhut, der das Gesicht verdeckte. Sein Gang verriet, dass er jede Menge Verantwortung mit sich herumschleppte und sicherlich eine Waffe im Halfter stecken hatte.
Er trug Jeans und ein Kakihemd, auf dessen Ärmel ein kleines Abzeichen genäht war. Ansonsten wies ihn nichts als Polizist aus. Eine Pilotenbrille baumelte zwischen den geöffneten obersten Knöpfen des Uniformhemdes, unter dem ein weißes T-Shirt zu sehen war. Erst als er sich vor den Schreibtisch stellte und den Kopf hob, um sie forschend anzuschauen, konnte sie ihm ins Gesicht blicken. Hohe Wangenknochen, strahlend blaue Augen, eine schmale Nase, die er sich mindestens einmal gebrochen hatte. Während er dastand und sie einfach schweigend betrachtete, zuckte ein Muskel an seiner Wange.
»Agent Tierney«, sagte er gedehnt, und schien ihren Namen auszukosten. »Schön, Sie wiederzusehen. Sie haben ein wenig zugenommen. Steht Ihnen gut.«
Caitlyn erwiderte seinen Blick, beobachtete, wie ein belustigter Ausdruck den Ärger in seinem Gesicht verdrängte. Er schmunzelte sie an, und sie erwiderte sein Lächeln. »Chief Waverly. Auch schön, Sie zu sehen. Sieht aus, als hätten Sie ein wenig abgenommen. Viel zu tun?«
Keiner von ihnen wollte den Blick zuerst abwenden, also starrten sie sich noch ein paar Sekunden in die Augen. Normalerweise hätte Caitlyn längst wieder seinen Schreibtisch geräumt, dem örtlichen Gesetzeshüter selbstverständlich mit jeder Geste die Kontrolle über sein Revier zugestanden – um nur ja eine freundliche Zusammenarbeit zu fördern.
Doch Waverly rührte etwas in ihr an, brachte sie aus dem Konzept. Anders als beim letzten Mal, als sie sich getroffen hatten. Damals war sie gerade erst nach langer krankheitsbedingter Pause in den Beruf zurückgekehrt, war vollauf mit dem Fall beschäftigt gewesen und damit, sich gegen Logan zur Wehr zu setzen, dabei noch angeschlagen und in ständiger Angst, nicht länger das Zeug für diesen Job zu haben.
Als Waverly sie jetzt eben angesehen hatte, war da Interesse zu spüren gewesen; sein Blick war ein wenig zu lange an ihren Lippen hängen geblieben, dann über ihren Körper geglitten. Und sie hatte dasselbe gefühlt. Sie rutschte unruhig in ihrem Sitz hin und her. Da war mehr als nur ein Funke übergesprungen.
So etwas hatte sie ewig nicht mehr erlebt. Das allerdings würde sie sich nicht anmerken lassen – schließlich war sie nicht zum Vergnügen hier.
Und deswegen sollte sie auch endlich aufspringen, sich bei ihm entschuldigen, weil sie hier unerlaubt eingedrungen war, und sich höflich für seine Mithilfe bedanken. Stattdessen blieb sie sitzen – in seinem Bürostuhl – und lieferte sich mit ihm diesen albernen Machtkampf.
Sein leises Lachen hallte durch den kleinen Raum, brach das Schweigen. Er machte auf dem Absatz kehrt, warf den Hut auf einen Haken neben der Tür, langte nach einem Metallstuhl, setzte sich und streckte die langen schlanken Beine vor sich aus. »Was führt Sie zurück nach Hopewell? Hat es mit der Leiche zu tun, die ich gerade aus dem Fluss gezogen habe?«
»Eigentlich bin ich wegen des Durandt-Falls hier.«
Sein Lächeln verflog, und er richtete sich auf; ein Auge hatte gezuckt, als sie den Namen Durandt erwähnt hatte.
»Ich bin da auf einige Unregelmäßigkeiten gestoßen.«
Der Funke erstarb, sein Blick glitt zur Tür. »Schätze, dann kommen Sie besser mit mir.«
Sie zwängte sich hastig hinter dem Schreibtisch hervor, nahm ihre Tasche und eilte ihm nach. Er war einfach hinausmarschiert, ohne auf sie zu warten. Wow,
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