Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
wer wird denn da gleich so nervös, nur weil einmal Sam Durandts Name gefallen ist. Auf der Main Street hatte sie ihn wieder eingeholt. »Wo gehen wir hin?«
»Haben Sie schon gegessen? Ich bin ausgehungert.«
»Mittagessen? Es ist gleich halb fünf. Ja, ich habe schon gegessen.«
»Nun, dann können Sie sich ja mit Sarah unterhalten, während ich esse.« Vor dem Rockslide Café blieb er kurz stehen und hielt ihr dann höflich die Tür auf, als hätte er sich plötzlich wieder an seine guten Manieren erinnert. »Da sie diejenige war, die heute Morgen die Leiche gefunden hat.«
Caitlyn legte ihm eine Hand auf den Arm, um ihn aufzuhalten. »Sarah Durandt?«, fragte sie leise. »Sie hat auf dem Berg einen Toten gefunden? Heute?«
»Ja. Und wie es aussieht, lag der da auch schon eine Weile. Mindestens zwei Jahre. Bin nicht sicher, ob Ihnen das groß weiterhilft. Sarah sagt, es könne unmöglich Sam sein.« Er schob sie zur Seite und rief dem Mann hinter dem Tresen seine Bestellung zu – einen Cheeseburger mit extra Schinken.
Caitlyn blieb noch kurz an der Eingangstür stehen, um die Neuigkeiten zu verdauen. Als sie den Blick hob, waren alle Augen im Lokal auf sie gerichtet. Der Mann hinter dem Tresen war Sarahs Vater, das wusste sie noch, kam jedoch nicht auf seinen Namen. Er reckte seinen Bratenwender in die Höhe, als hielte er eine Waffe in der Hand. Hal Waverly schaute abgekämpft, aber belustigt in ihre Richtung. Er saß neben einer älteren Frau – es war Victoria, die Postmeisterin, die Caitlyn vorhin derart auf die Nerven gegangen war. Die ältere Frau hatte den Kopf zur Seite gelegt und starrte sie wütend an.
Sie trat ein. Hinter ihr fiel die Tür mit lautem Knall, begleitet von Glöckchengeklingel, ins Schloss. In einer der Nischen saß Sarah Durandt, ganz allein, mit von der Sonne gerötetem Gesicht und einem Glas Limonade vor sich. Als sie Caitlyn erkannte, wurden ihre Lippen ganz schmal und blass, doch ansonsten zeigte sie keinerlei Regung.
»Ihr erinnert euch doch alle an Agent Tierney, habe ich recht?«, stellte Waverly sie vor. »Vom FBI ?«
»Das ist jetzt nicht die richtige Zeit –«, begann Sarahs Vater und kam hinter dem Grill hervor, obwohl gerade ein Schinkenstreifen hinter ihm verschmorte.
Sarah hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Caitlyn war beeindruckt, wie gefasst die Frau wirkte. Nur der feste Griff um ihr Glas verriet, wie viel Selbstbeherrschung es sie kostete. Aha, eine Seelenverwandte – den äußeren Schein wahren, selbst wenn das Innere in tausend Stücke zerspringt.
»Mrs Durandt«, sagte Caitlyn und ging die zwei Schritte zu Sarahs Nische. Ohne sich um die umstehenden Zuhörer zu kümmern, sagte sie: »Ich denke, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
Sarah blickte zu ihr auf, wirkte kurz überrascht, schenkte ihr dann aber ein aufgesetztes Lächeln – die Art, wie man sie einem Fremden zeigt, der mitten in eine private Unterhaltung geplatzt ist. »Eine Entschuldigung?«
»Ich befürchte, als wir uns vor zwei Jahren begegnet sind, habe ich mich ihnen gegenüber nicht so aufmerksam verhalten, wie ich es hätte sein sollen. Ich kann nur –« Caitlyn hielt inne, suchte nach den richtigen Worten, die beschrieben, was während der Ermittlungen im Fall Wright auf sie eingeprasselt war. »mildernde Umstände für mein Versäumnis anführen.«
Die Worte klangen ausdruckslos. Sarah hob kurz eine Braue, blickte dann wieder nach unten auf ihre Finger, die das beschlagene Glas Limonade umschlangen. »Was wollen Sie, Agent Tierney?«
»Mich einfach nur entschuldigen. Und vielleicht einiges erklären. Können wir uns irgendwo unterhalten?«
Sarah warf einen Blick in die Runde, dann starrte sie Caitlyn abwägend an. Einen Moment lang kam wieder die harte Seite zum Vorschein, die Caitlyn bereits vor zwei Jahren erlebt hatte – eine Frau, die sich dem Schrecken der Umstände beugte, die aber niemals brechen würde. Sarahs Augen wurden schmal, sie nickte und glitt von der Sitzbank.
»Folgen Sie mir, Agent Tierney.«
* * *
Sarah ließ die neugierigen Mithörer im Rockslide zurück und geleitete Caitlyn nach draußen. Bis auf zwei Jungs, die auf ihren Skateboards vorbeibretterten, war niemand auf der Straße. Sie überquerten die Main Street und liefen zur St.-Andrews-Kirche. Das Backsteingebäude mit dem Spitzdach und dem etwas abseits stehenden Glockenturm war um diese Zeit bestimmt angenehm kühl und leer. Sie zog an der schweren Eichentür und hielt sie für
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