Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
vorne, suchte den vertrauten, beruhigenden Kontakt zu ihrer Glock.
Stattdessen landete sie in der Hand eines Mannes. Hal hatte sich hinter sie gesetzt, sie in den Arm genommen und in seinen Schoß gebettet. Caitlyn hielt die Hände schützend vors Gesicht, damit die grellen Sonnenstrahlen sie nicht treffen konnten. Er fasste mit der einen Hand ihr Haar zusammen und führte mit der anderen einen kühlen nassen Lappen über den entblößten Nacken, den Hals, über die Wangen, dann legte er ihn zwischen ihre Hände.
»Ist schon gut, atmen, einfach nur atmen«, flüsterte er. Die Worte wurden von Granaten zerrissen, jede Explosion schmerzhafter als die vorherige, bis die Bedeutung des Gesagten sich auflöste. Doch ein animalischer Winkel in Caitlyns Gehirn wollte nicht aufgeben, setzte sich noch immer zur Wehr. Sie atmete tief durch.
Erst einmal, dann noch einmal. Der Gestank von verbranntem Fleisch ließ nach, wurde von Lavendelduft ersetzt.
Er streichelte ihren Nacken, massierte die verhärteten Stellen, dann glitten seine Finger nach oben zum Schädel. Als er die Narbe auf der rechten Seite berührte, die unter dem Haar verborgen lag, schrie sie laut auf und begann zu zittern.
»Entschuldigung, tut mir leid.« Das leise Plätschern war wieder da, sie spürte seine Hände und kühles Nass, das er über ihre Haut schöpfte. Es löschte die Flammen in ihrem Innern, zurück blieb ein schwelendes Niemandsland voller Rauchschwaden, ein Minenfeld der Qualen, in dem Caitlyn feststeckte. Nur ein falscher Schritt, und der Schmerz würde sie in Stücke reißen.
Dennoch war das ihre einzige Möglichkeit zu entkommen.
In ihrem Inneren tastete sie sich langsam vor, folgte dem von Hal gebahnten Weg. Seine Finger, so kühl und beruhigend, hinterließen eine kleine Tropfspur, glitten an ihren Schultern und am Rückgrat entlang. Caitlyns ärmellose Bluse war am Rücken zugeknöpft. Er öffnete sie, löste auch den Verschluss ihres Büstenhalters. Ein willkommener Lufthauch kühlte ihre schweißbedeckte, erhitzte Haut, wohltuend wie seine Hände. Er massierte sie weiter auf diese wundersame Art, die den Schmerz aus ihren gequälten Muskeln verscheuchte, arbeitete sich langsam den Rücken hoch bis zu ihrem Schädel. Dieses Mal löste die Berührung keine weitere Attacke aus, selbst dann nicht, als er zu der erhobenen Stelle über ihrem Ohr kam.
Caitlyn schien zu schweben, der Schmerz ließ nach, gab sie endlich frei. Sie öffnete die zur Faust geballten Hände, auch die Augen, und als das schwindende Sonnenlicht keinen neuen Anfall auslöste, wagte sie sogar, ihren Kopf zur Seite zu drehen. Er ruhte auf einem feuchten großen Schnupftuch, in dessen Mitte zerdrückte Lavendelblüten und andere Kräuter lagen.
Sie genoss das Gefühl, endlich wieder Atem schöpfen zu können. Er massierte sie immer weiter. Ihre Bluse und der BH rutschten nach unten, entblößten sie in aller Öffentlichkeit, doch da war sowieso niemand außer ihr und Hal. Links neben ihnen gluckste ein Springbrunnen heiter vor sich hin, ansonsten war es ganz still.
»Vielen Dank!« Die Worte waren kaum mehr als ein angestrengtes Flüstern, als ob auch ihre Stimmbänder der Schmerzflut zum Opfer gefallen wären.
»War es ein Gehirntumor?«, fragte er und fuhr mit den Fingern über ihre Narbe. »Meine Frau –« Er räusperte sich. »Hatte auch solche Kopfschmerzen wie Sie. Medulloblastom, jede Hilfe kam zu spät. Sie ist jetzt erlöst.« Er schaute sie nicht an, hielt den Blick auf einen Punkt weit über den Baumwipfeln gerichtet. »Schon eine Weile.«
»Das tut mir leid. Schrecklich, dass Sie beide das durchmachen mussten.« Caitlyn wandte den Kopf und schaute mit ihrem besten tröstlichen Lächeln zu ihm auf. »Nein. Kein Tumor. Vor zwei Jahren … « Sie sprach nicht zu Ende, überwältigt von der Erinnerung an Schwindel, an freien Fall, den jähen Aufprall auf die Straße. »… bin ich gefallen und habe mich am Kopf verletzt.«
Er ließ sich auf die Fersen zurückfallen und nahm die Hände weg. Sofort vermisste Caitlyn seine beruhigende Berührung. Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen und setzte sich auf, drehte sich zur Seite und auf die Knie. »Danke schön!«
Als sich ihre Blicke trafen, stellte sie überrascht fest, dass er rot geworden war. »Entschuldigen Sie! Ich wollte Ihnen keineswegs zu nahe treten.« Sein Blick glitt an ihrem Körper hinab bis zu den teilweise entblößten Brüsten. »Es ist nur, das war immer der einzige Weg, um Lilys Schmerzen
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