Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
sie fest in die Arme. Mit jedem Atemzug sog sie den Geruch seines Körpers ein, jenen unverwechselbaren Moschusduft, den er und nur er an sich hatte. Gegen ihren Willen wurde sie von unbändiger Sehnsucht überwältigt. Sie schlang die Arme um ihn und hielt ihn fest umklammert.
Gott, wie viele Tausend Mal in den vergangenen zwei Jahren hatte sie davon geträumt, er möge sie so halten! Der Traum war wahr geworden, und nun konnte sie ihn nicht mehr loslassen, vor lauter Angst, dass ihr erneut das Herz gebrochen würde.
Wenn Josh nun tatsächlich tot war? Das könnte sie einfach nicht ertragen, würde lieber sterben, als es zu erfahren.
Sams warme Tränen mischten sich mit ihren eigenen, benetzten ihr Gesicht und den Hals. Er bebte am ganzen Körper, zitterte unkontrolliert. Sarah atmete tief durch und wischte sich Gesicht und Nase an dem Flanellstoff seines Hemdes ab.
»Josh?«, fragte sie und schloss die Augen, um sich auf die Antwort gefasst zu machen.
»Ihm geht’s gut.« Sam brach die Stimme weg. Er legte eine Hand an ihre Wange, streichelte ihr Gesicht. »In Sicherheit. Er wartet darauf, dass ich dich zu ihm zurückbringe.«
Sarah schluchzte erstickt, rutschte von seinem Schoß, löste sich aus der Umarmung, holte tief Luft, hielt kurz inne – dann schlug sie mit aller Kraft zu. Die Ohrfeige hallte wie ein Schuss durch die Stille.
»Du gottverdammter elender Scheißkerl!«, brüllte sie, obwohl er nur wenige Zentimeter vor ihr saß. »Wie konntest du es wagen? Wer gibt dir das Recht, mir meinen Sohn wegzunehmen? Mir das alles anzutun?«
Sam saß da, eine Hand an der Wange, über die immer noch Tränen liefen. Er war blass und sah abgezehrt aus. Alles Weiche war ihm genommen worden.
Sarah rappelte sich auf, stand über ihm und ließ ihrer Wut freien Lauf. »Steh auf, du Mistkerl! Du wirst mich auf der Stelle zu meinem Sohn bringen. Und dann werden wir dich verlassen.«
Er schaute ihr in die Augen. Gott, sein Blick glich dem eines uralten Mannes. Uralt und von Sorgen gezeichnet. Mit dem rasierten Schädel sah er im gespenstischen Schein des Vollmonds wie das Skelett des Mannes aus, den sie einst gekannt und geliebt hatte.
Langsam wiegte er den Kopf hin und her. »Ich kann dich nicht zu Josh bringen. Jedenfalls nicht jetzt.«
Ihr blieb die Luft weg, sie war sprachlos. Holte zu einem Tritt aus, doch er fing ihr Bein ab und zog sie über sich. Wieder wollte sie auf ihn einschlagen, ihn beißen, kratzen, treten, aber dieses Mal hielt er sie an den Handgelenken fest, sodass sie nichts ausrichten konnte.
Nach einiger Zeit fauchte sie nur noch wie ein verwundetes Tier. Sie hätte ihn auch angespuckt, doch ihr Mund war zu trocken. »Scheißkerl. Lass mich los!«
»Erst wenn du dich beruhigst. Hör mir zu, Sarah! Wir haben nicht viel Zeit. Weiß Alan, dass du hier bist?«
»Was geht dich das an?«
Er schüttelte sie. »Joshs Leben könnte davon abhängen. Und deines auch.«
»Josh? Ist Alan hinter Josh her? Ich habe seine Pistole gesehen –« Sie kämpfte sich frei.
»Josh ist in Sicherheit. Alan weiß nicht, wo er ist. Aber er darf nicht wissen, dass wir miteinander gesprochen haben. Das ist vielleicht unsere einzige Hoffnung.«
Das verhasste Wort ließ Sarah das Blut in den Adern gefrieren. Wie oft war ihr in den Tagen, bevor Wright gestanden hatte, von anderen gesagt worden, sie solle die Hoffnung nicht aufgeben. Selbst als sie das Rettungsteam abgezogen und stattdessen ein Spurensicherungsteam sowie Leichensuchhunde geholt hatten. Wie oft hatte sie nachts wach gelegen und tränenüberströmt ins Kissen geflüstert, dem Dunkel ihre geheimen Hoffnungen anvertraut?
»Es gibt keine Hoffnung!«, stieß sie hervor. »Sag mir einfach ,wo Josh ist, bitte, bring mich zu ihm!« Dass sie jetzt bettelte, war ihr egal.
Sam wollte sie wieder an sich ziehen, doch dieses Mal stand sie steif und unbeweglich da und erwiderte seine Umarmung nicht. »Wo. Ist. Mein. Sohn?«
Als sein Griff sich lockerte, entwand Sarah sich ihm, als wäre er giftig. »Versprich mir, dass du dir erst alles anhören wirst, was ich zu sagen habe!« Flehentlich blickte er aus weit aufgerissenen Augen zu ihr auf. »Bitte, Sarah!«
Sie rutschte von seinem Schoß, kniete sich hin. »Sag mir, was ich wissen muss!«
Er atmete aus, eigentlich war es mehr ein banges Seufzen, und rieb sich die rechte Seite. »Ich werde dir alles erzählen. Dann«, – er nahm ihre Hand, aber sie zog sie weg, – »kannst du entscheiden, was du tun
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