Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
genügend Kraft hätte, um einen Marshal umzubringen und ihn wegzuschleifen.« Er seufzte resigniert. »Nein. Sam ist tot. Daran ist nicht zu rütteln.«
»Du hast recht. Sam könnte Richland nicht fortgeschafft haben, jedenfalls nicht allein und derartig schwer verwundet.« Sie zog die Stirn kraus, nahm eines der Fotos zur Hand und betrachtete es nachdenklich. Verdammt viel Blut … Aber es hatte ja auch geregnet, womöglich war es verdünnt gewesen. Dennoch, es war unmöglich, es sei denn … »Und wenn Sam einen Komplizen hatte?«
»Sarah kann es jedenfalls nicht sein. Sie war in Albany.«
Hat es eilig, sie zu verteidigen , fiel Caitlyn auf. Und gebärdet sich dabei ganz schön kratzbürstig . »Wir sind die ganze Zeit von einem Gelegenheitsverbrechen ausgegangen, weil wir Wright für den Täter hielten. Wenn es sich nun aber um einen von langer Hand sorgfältig vorbereiteten Plan handelt, dessen einzige zufällige Komponente Wright in seiner Funktion als Sündenbock war?« Sie lehnte sich zurück, nippte an ihrem Kaffee und genoss das Gefühl, wie die Müdigkeit langsam einem klaren Kopf wich.
»Ich weiß nicht, was du meinst. Denkst du etwa, jemand hatte den Mord an Sam und Josh schon lange geplant, ihre Leichen versteckt und das dann Wright angehängt?«
»Immer zuerst das familiäre Umfeld überprüfen, das ist die goldene Regel bei Mordermittlungen.«
Er richtete sich auf, und da zuckte wieder dieser Muskel an seiner Wange. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass Sarah ein wasserdichtes Alibi hat.«
»Dennoch könnte sie jemanden beauftragt haben. Vielleicht hat sie Richland und einen unbekannten Komplizen beauftragt, Sam umzubringen, die Sache ist außer Kontrolle geraten, und der Komplize hat sich gegen Richland gewendet. Vielleicht steckt Sarah doch hinter dem Mord an Sam und Josh, und Damian Wright war einfach nur eine Gelegenheit, die sich ihr bot.«
»Einfach alles an diesem Gedanken ist abwegig.«
»Was zum Beispiel?«, forderte sie ihn heraus.
»Zum Beispiel: Welches Motiv sollte Sarah haben, Sam umzubringen? Von ihrem eigenen Sohn mal ganz abgesehen?«
* * *
Sam bekam keine Luft mehr. Als wäre ihm die Dunkelheit in die Lungen gefahren und würde ihn von innen heraus ersticken. Als sein Blick über die Lichtung glitt, drohte ihn die Erinnerung zu überwältigen. Wie ferngesteuert ging er auf die Baumgrenze zu und hockte sich hin, berührte den Boden.
»Hier.« Seine Stimme zitterte, das Wort wurde fast von den raschelnden Blättern verschluckt. »Hier ist es passiert.«
Sarah eilte an seine Seite, kniete sich neben ihn und fasste ihn mit beiden Händen am Arm. Er bebte immer noch, aber ihre Berührung löste den Knoten in seiner Brust, und er konnte wieder frei atmen. Er musste ihr alles erzählen, so viel war klar. Wenigstens musste er es nicht alleine noch einmal durchleben.
»Da war ein Mann. Ich hatte beobachtet, dass er Kinder fotografierte, ihnen nachspionierte. Ich habe Hal davon erzählt, er sagte, er würde es ans FBI weiterleiten und den Kerl im Auge behalten.« Sam zuckte mit den Achseln. »Ich bin nicht sicher, was dann geschehen ist, aber irgendwie haben die falschen Leute Wind davon bekommen, und am nächsten Tag stand ein US Marshal namens Leo Richland bei mir vor der Tür und sagte, ich solle sofort verschwinden. Das ging natürlich nicht, weil du gerade in Albany warst, also habe ich mich geweigert. Da hat er seine Pistole gezogen.«
Sam schlug mit der flachen Hand auf die Erde, weil die Hilflosigkeit von damals ihn erneut übermannte. »Da kam Josh ins Zimmer, und Richland war abgelenkt. Also habe ich Richland umgestoßen, Josh zugerufen, er solle wegrennen, hoch zu unserem sicheren Ort.«
»Eurem sicheren Ort?« Ihr Griff an seinem Arm wurde schmerzhaft fest. Zorn wallte in ihr auf. Dagegen konnte er nicht viel tun, sich nur weiter erklären.
»Ich hatte immer befürchtet, dass so etwas passieren könnte, also haben Josh und ich uns einen geheimen Ort nicht weit den Berg hinauf gesucht. Ich habe ihm beigebracht, dorthin zu laufen, sollte jemals irgendetwas passieren – es ist eine Höhle mit Vorräten. Für den Notfall.«
»Für den Notfall.« In das Flüstern mischte sich unbändige Wut. »Und du hast nie daran gedacht, mich einzuweihen?«
»Jeden Tag, ständig. Aber wie hätte ich von dir verlangen können, die Risiken eines solchen Lebens auf dich zu nehmen? Wie hättest du den Mann lieben können, der ich war? Der ich immer noch bin«, fügte er bedauernd
Weitere Kostenlose Bücher