Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
ihm fortrennen wollte, ihm alles vergeben! Ihr Herz drängte sie, ihm zu vertrauen, an den Mann zu glauben, den sie liebte.
Sie blinzelte die Tränen fort. Ihr Herz mit seinen Bedürfnissen hatte sie schon einmal verraten. Niemals wieder.
»Richland hat dich angeschossen.« Die Worte wollten ihr kaum über die Lippen kommen. Sie musste schlucken, ehe sie weitersprechen konnte. »Was ist dann geschehen?«
Sam rappelte sich auf, sah Sarah lange an und zog sich dann wieder in die Schatten zurück. Er lehnte sich an einen Eichenstumpf. »Richland kam auf mich zu, wollte noch einmal schießen. Ich habe mich auf ihn gestürzt, na ja, eigentlich bin ich mehr auf ihn gefallen. Wir haben miteinander gekämpft, dabei hat er sich den Kopf an einem Stein angeschlagen und wurde ohnmächtig. Ich habe mir seine Waffe geschnappt und bin den Berg hinauf, bis zu der Stelle, an der Josh auf mich gewartet hat.« Er neigte den Kopf zur Seite, lächelte sie an. »Er ist dir so ähnlich. Praktisch veranlagt, vernünftig. Hat mir sogar geholfen, meine Wunde zu versorgen, ohne in Panik auszubrechen. Für ihn war das alles ein Abenteuer.«
Sarah drehte sich der Magen um, wenn sie sich vorstellte, dass Josh das hatte erleben müssen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie seid ihr über die Grenze gekommen?«
»Ich hatte einen Wagen in der Höhle versteckt. Damit sind wir über den Berg bis nach Merrill gefahren, wo ich ein Schließfach mit den Unterlagen, etwas Bargeld und einen Pick-up hatte. Damit blieb nur noch die Frage, ob ich es über die Grenze schaffe, ohne das Bewusstsein zu verlieren. Meine Vermieterin hat mich am nächsten Tag gefunden, ich hatte Fieber und war im Delirium. Die Entzündung hatte die Haut und die obere Muskelschicht bereits so stark angegriffen, dass die Ärzte zunächst dachten, ich hätte eine Verbrennung.
»Wer hat auf Josh aufgepasst?«
»Frau Beaucours. Meine Vermieterin. Du würdest sie mögen. Sie ist vierfache Großmutter und liebt Josh, als würde er zu ihrer eigenen Familie gehören.« Er scharrte nervös mit den Füßen, während sie ihn wütend anstarrte und darauf wartete, dass er die im Raum stehende Frage beantwortete.
Da er nichts sagte, sprach sie es aus. »Warum hast du dich nicht bei mir gemeldet? Mir davon erzählt? Mich wissen lassen, dass du noch lebst?«
»Das habe ich – ich habe es versucht.« Er zog sich weiter ins Dunkel zurück. Dünne Nebelschwaden waberten zwischen ihnen vorbei, bildeten eine geisterhafte Schranke. »Ich habe versucht anzurufen, aber Alan ist rangegangen, also habe ich wieder aufgelegt. Als ich dann aus dem Krankenhaus kam, bin ich hierher gefahren, um nachzusehen, wie es dir geht.« Er zögerte. Der Wind riss an Sarahs Haar, fröstelnd schlang sie die Arme um den Oberkörper. »Ich habe mich zum Haus geschlichen. Du und Alan, ihr habt miteinander gescherzt, ihr saßt gerade beim Abendessen – mit Kerzen und Wein und allem Drum und Dran.«
Bei dem verletzten Ton in seiner Stimme fuhr ihr Kopf in die Höhe. »Das war im November. Wir haben den ersten Tag gefeiert, an dem ich wieder arbeiten gegangen bin. Alan nannte es meine Rückkehr in die Welt der Lebenden.«
»Jedenfalls konnte ich nicht riskieren, dass Alan die Wahrheit erfährt – er hätte dich umgebracht.«
»Zum Teufel mit Alan! Wie wäre es, wenn du mir die Wahrheit gesagt hättest? Mich darüber informiert hättest, dass mein Sohn noch am Leben ist?«
»Wie hätte ich das tun können, wenn Alan doch ständig um dich herumscharwenzelt. Er hat das Haus, das Telefon und deinen Computer verwanzt.«
»Moment mal, was hat er?« Ihre Stimme hallte durch den Nebel. Dann verstand sie plötzlich alles. Alan hatte sie an der Nase herumgeführt, genau wie Sam. Sie benutzt, um an Sam heranzukommen. An Stan.
Ihr schwirrte bereits der Kopf, dennoch versuchte sie, sich zu konzentrieren, als er weitersprach. »Einmal bin ich zu dir in die Schule gefahren, wollte dich dort irgendwie abfangen, doch dann wurde mir klar, dass das nicht gut gehen würde. Wenn du einfach so verschwunden wärst, hätte Alan gleich gewusst, dass ich irgendwie damit zu tun gehabt hätte, und uns gesucht. Schlimmer noch, vielleicht hätte er auch dem Russen Bescheid gegeben, und der hätte dann seine Leute geschickt.
Ich bin immer wieder zurückgekommen, um nach dir zu sehen, konnte mich nicht von dir fernhalten. Bis zu der Nacht, in der Alan mich beinahe entdeckt hätte. Da wurde mir klar, dass ich sowohl dich als auch Josh
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