Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
ohne Sorge, ohne Verantwortung, ohne eine klare Vorstellung von meiner Zukunft … und zufrieden dabei. Doch dann habe ich mit angesehen, wie ein Mann starb.«
29
Sam konnte nicht mehr länger stillsitzen. Er stand auf und lief zum Rand des Felsvorsprungs. Das Mondlicht schimmerte auf dem dunklen Wasser des Stausees unter ihm. Hinter dem Damm glitzerten Hopewells Lichter wie kleine Leuchtfeuer inmitten des schwarzen Waldes.
Er nahm all seinen Mut zusammen und begann mit seiner Geschichte. Ins Dunkel hineinzusprechen war einfacher, als Sarah dabei anzuschauen. »Alan und ich haben uns im College ein Zimmer geteilt. Er war der Ehrgeizige von uns beiden, hat sein Jurastudium durchgezogen und dann lange genug in großen Kanzleien gearbeitet, um festzustellen, dass es einfachere Wege gab, zu Geld zu kommen, als die Speichelleckerei bei seinen Kompagnons. Er stieg aus und gründete seine eigene Kanzlei – für ganz spezielle Mandanten.«
»Betrüger?«
»Nicht alle. Eher unabhängige Finanziers, die angesichts großer Profite bereit waren, etwas zu riskieren. Einflussreiche. Produzenten, Agenten – diejenigen, die Hollywood von der zweiten Reihe aus lenken. Mich hat er angestellt, um keine Probleme mit der Steuer zu bekommen. Zunächst ging noch alles mit rechten Dingen zu. Fragwürdig bisweilen, aber nicht illegal. Den Staat mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, hat mir sogar Spaß gemacht. Doch dann hat sich Alan mit Leuten eingelassen, die mit höherem Einsatz spielten. Die über ein riesiges Vermögen verfügten.«
»Wie euer Russe.« Sarah klang verächtlich.
»Ja. Männer wie Korsakov. Ich hätte gehen sollen, aber es war irgendwie … berauschend. Zu sehen, wie weit ich gehen konnte. Und dann war ich mit einem Mal zu weit gegangen, ohne es überhaupt bemerkt zu haben.« Er drehte sich zu ihr um. Mittlerweile war sie über die Lichtung auf ihn zugekommen, stand dichter vor ihm, als er erwartet hatte. Das Mondlicht hüllte sie ein, und einen Moment lang fragte er sich, ob das hier alles ein Traum war.
Wohl eher ein Albtraum.
»Als mir klar wurde, was da vor sich geht, wollte ich die Polizei informieren. Ehe ich jedoch dazu kam, lud Korsakov mich zum Abendessen ein. Ein wahres Festmahl. Es war filmreif – Kaviar, Champagner, Trüffel, Wodka, eine Reihe bildschöner Frauen, goldenes Geschirr. Anschließend führte er mich zum Nachtisch in einen anderen Raum.«
Er verstummte und wandte sich wieder von ihr ab, würgte, weil er daran zurückdenken musste, wie der »Nachtisch« ausgesehen hatte. Er stand nah am Abgrund, es wäre so einfach gewesen, einen Schritt weiter zu gehen, nur einen Schritt, und dem allem zu entkommen … nur wäre der nächste Halt hundert Meter weiter unten auf dem Damm. Er räusperte sich und nahm all seinen Mut zusammen. Er musste ihr alles erzählen, ihr klarmachen, in welcher Gefahr sie schwebte.
»Dort wartete ein Mann auf uns. Er war nackt an einen Stuhl gefesselt. Grün und blau geschlagen, mit wildem Blick, die Stimme heiser vom vielen Schreien. Er fragte uns immer wieder, wer wir seien, was wir wollten, warum es ihn getroffen habe. Ich wollte wegrennen, aber Korsakovs Männer hielten mich fest und zwangen mich, zuzusehen, wie Korsakov den Mann trotz seines Flehens folterte. Dabei hielt er einen Vortrag über die jeweilige Foltertechnik, wer sie erfunden hätte, wie er sie verfeinerte, welche Erfolgsrate sie hatte.«
Er hörte Sarah erstickt aufschluchzen. Die Worte sprudelten nun aus ihm heraus, er wollte unbedingt so schnell wie möglich alles loswerden. »Ich habe Korsakov angebettelt aufzuhören. Er hat von mir verlangt, dass ich einen Treueeid schwöre, und das habe ich getan. Ich hätte alles getan, damit diese Schreie aufhörten – naja, fast alles. Als Korsakov mir eine Pistole in die Hand drückte, sagte, ich solle es beenden und das arme Schwein erschießen, es von seinem Elend erlösen, da … Er hielt meinen Arm fest, damit ich nicht zitterte. Sagte, es sei der einzige Weg, das Leiden zu beenden, und dass ich dem Mann einen Gefallen tun würde.«
Er musste an dieser Stelle abbrechen, weil seine Zähne so heftig aufeinanderschlugen, dass er nicht mehr weitersprechen konnte. Dann schlang er die von Gänsehaut überzogenen Arme um den Oberkörper. Sarah umfasste ihn von hinten, und er konnte ihre Wärme spüren. Dann drehte sie ihn herum und nahm ihn in die Arme, bis das Zittern nachließ.
»Was ist geschehen?«, hauchte sie.
Er vergrub das Gesicht an ihrem Hals,
Weitere Kostenlose Bücher