Total Control (Das Labyrinth)
atmete Sidney auf, stieg in den Fahrstuhl und drückte den Knopf für den zweiundzwanzigsten Stock. Kurz darauf betrat sie den dunklen Bürokomplex von Tyler, Stone und hastete in ein Büro. Sie schaltete das Licht ein, kramte ihr Adreßbuch hervor, suchte eine Nummer heraus und wählte. Die Nummer gehörte Ruth Childs, einer langjährigen Nachbarin ihrer Eltern und Freundin der Familie in Hanover, Virginia.
Schon nach dem ersten Klingeln wurde der Ruf angenommen. Ruth Childs war bereits siebzig, doch der forsche Klang der Stimme verriet, daß sie schon eine Weile auf den Beinen sein mußte, obwohl es erst kurz nach sechs Uhr morgens war. Mitfühlend sprach sie Sidney ihr Beileid wegen Jason aus. Dann, in Antwort auf Sidneys Frage, berichtete sie, die Pattersons seien gestern morgen gegen zehn Uhr mit Amy abgereist, nachdem sie überstürzt gepackt hatten.
»Ich habe gesehen, wie dein Vater die Schrotflinte im Kofferraum verstaut hat, Sidney«, meinte Ruth provokativ.
»Wozu nur?« antwortete Sidney matt. Gerade wollte sie sich verabschieden, als Ruth etwas sagte, das Sidneys Herzschlag aussetzen ließ.
»Ich muß gestehen, daß ich in der Nacht, bevor sie abreisten, ein wenig beunruhigt war. Ständig fuhr ein Wagen vorbei. Wie du weißt, schlafe ich nicht viel, und selbst wenn, wache ich bei der kleinsten Kleinigkeit auf. Das hier ist eine ruhige Gegend, in die sich kaum jemand verirrt, es sei denn, er möchte jemanden besuchen. Gestern morgen war der Wagen wieder da.«
»Hast du jemanden in dem Auto gesehen?« Sidneys Stimme bebte.
»Nein, meine Augen sind nicht mehr, was sie mal waren, da hilft auch die beste Brille wenig.«
»Ist der Wagen noch da?«
»Oh, nein. Er fuhr gleich nach deinen Eltern weg. Ich bin recht froh darüber, muß ich sagen. Trotzdem steht der Baseballschläger neben der Tür bereit. Soll nur jemand versuchen, bei mir einzubrechen; er wird sich wünschen, er hätte es nicht getan.«
Bevor Sidney auflegte, riet sie Ruth, vorsichtig zu sein und die Polizei anzurufen, sollte der Wagen noch einmal auftauchen, obschon sie fast sicher war, daß dies nicht geschehen würde. Der Wagen befand sich bereits weit entfernt von Virginia. Er war mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf dem Weg nach Maine. So wie nunmehr auch Sidney.
Sie legte auf und wandte sich zum Gehen. In diesem Augenblick hörte sie den Klingelton, der ankündigte, daß der Fahrstuhl in ihrem Stockwerk anhielt. Sidney verschwendete keinen Gedanken darauf, wer wohl so früh ins Büro kommen mochte. Sofort nahm sie das Schlimmste an. Sie zog den 32er-Revolver und rannte aus dem Büro, weg von den Aufzügen. Zumindest hatte sie den Vorteil, die Räumlichkeiten zu kennen.
Das Geräusch rascher Schritte hinter ihr bestätigte den schrecklichen Verdacht. Sie lief, so schnell sie konnte, wobei die Handtasche gegen ihre Seite schlug. Mittlerweile konnte Sidney das Keuchen ihres Verfolgers hören, als dieser in den dunklen Korridor hinter ihr einbog. Er holte auf. Zwar rannte sie schneller, als sie es seit ihrer Zeit als Basketballspielerin am College je getan hatte, dennoch würde es nicht reichen. Sie mußte die Taktik ändern.
Sidney bog um eine Ecke, hielt inne, wirbelte herum und kniete sich, den Revolver im Anschlag, in Schußposition. Schwer atmend stürmte der Mann um die Ecke und erstarrte kaum einen halben Meter vor ihr. Sidney sah das blutverschmierte Messer in seiner Hand. Sein Körper spannte sich, wie für einen plötzlichen Angriff. Sie drückte ab. Die Kugel peitschte dicht an seiner linken Schläfe vorbei.
»Der nächste Schuß trifft.« Sidney stand auf. Die Augen aufsein Gesicht geheftet, bedeutete sie ihm, das Messer fallenzulassen, was er auch tat. »Beweg dich!« bellte sie ihn an und wies mit der Pistole die Richtung. Rückwärts scheuchte sie ihn den Gang hinunter zu einer Metalltür.
»Aufmachen!«
Die Augen des Mannes durchbohrten sie. Selbst mit der unmittelbar auf seinen Kopf gerichteten Pistole fühlte Sidney sich wie ein kleines Kind, das mit einem dünnen Ästchen einen tollwütigen Hund in Schach zu halten versucht.
Der Mann schwang die Tür auf und schaute hinein. Automatisch ging das Licht an. Es handelte sich um den Kopierraum, ausgestattet mit den verschiedensten Geräten, stapelweise Papier und all dem anderen Zubehör, das eine gutgehende Anwaltskanzlei benötigte. Sie deutete quer durch den Raum auf eine weitere Tür. »Da rein.« Er betrat den Kopierraum. Während Sidney beobachtete, wie
Weitere Kostenlose Bücher