Total verhext
vor. Hier schlug man den Kopf ab, so daß Diebe nicht mehr daran dachten, etwas zu stehlen.
Oma wußte jetzt ganz genau, wo die Hexen in Gennua waren.
Sie waren an der Macht.
Magrat erreichte die Hintertür des Hauses. Sie stand einen Spaltbreit offen.
Sie straffte die Schultern. Mit höflicher Zurückhaltung klopfte sie an. »Äh …«, sagte sie. Schmutziges Wasser klatschte ihr ins Gesicht. Irgendwo hinter dem Rauschen der Seifenlauge ertönte eine Stimme. »Lieber Himmel, tut mir leid! Ich wußte nicht, daß jemand draußen steht.«
Magrat rieb sich die Augen und sah eine schemenhafte Gestalt. Etwas – vielleicht die Geschichte, die hier versuchte, das Reale ihren Bedürfnissen anzupassen – erfüllte sie mit sonderbarer Gewißheit. »Heißt du Ella?« fragte sie. »Ja. Wer bist du?«
Magrat musterte ihre Patentochter. Nie zuvor hatte sie eine hübschere junge Frau gesehen: die Haut nußbraun, das Haar so blond, fast weiß – keine ungewöhnliche Mischung für eine Stadt, in der »gute Sitten« keine Einschränkungen bedeuteten.
Was sagte man bei solchen Gelegenheiten?
Die junge Hexe strich sich eine Kartoffelschale von der Nase.
»Ich bin deine gute Fee«, stellte sie sich vor. »Komisch, es klingt seltsam, wenn man’s laut ausspricht …«
Ella starrte sie an.
»Du bist meine gute Fee?«
»Äh. Ja. Ich habe den Zauberstab und alles.« Magrat winkte mit dem Stab, in der Hoffnung, dadurch glaubwürdiger zu wirken. Das war nicht der Fall. Ella neigte den Kopf zur Seite. »Ich dachte, Feen erscheinen in einer Wolke aus glitzerndem Licht, begleitet von melodischem Klimpern und so«, sagte sie argwöhnisch. »Ich habe nur den Zauberstab bekommen«, erwiderte Magrat verzweifelt. »Ohne Bedienungsanleitung.« Ella musterte sie erneut. »Na schön, komm herein. Du bist genau zum richtigen Zeitpunkt eingetroffen. Ich habe gerade Tee aufgesetzt.«
Die Frauen mit den schillernden Gewändern kletterten in eine Kutsche ohne Dach. Sie mochten sehr schön sein, aber ihre Bewegungen waren etwas ungelenk.
Kein Wunder, dachte Oma Wetterwachs. Sie sind nicht an Beine gewöhnt.
Darüber hinaus fiel ihr auf, daß die Leute die Kutsche einfach ignorierten. Bestimmt sahen sie das Gefährt, aber sie erlaubten sich nicht, den Blick darauf verweilen zu lassen. Sie schienen Probleme zu befürchten, wenn sie auf eine solche Weise seine Existenz bestätigten.
Und dann die Pferde vor der Kutsche. Sie hatten mehr Verstand – beziehungsweise Instinkt – als die Menschen. Sie wußten genau, was sich hinter ihnen befand, und es gefiel ihnen nicht.
Oma Wetterwachs folgte ihnen, als sie mit angelegten Ohren und weit aufgerissenen Augen durch die Straßen trabten. Schließlich liefen sie über die Zufahrt eines großen, baufälligen Hauses.
Esme blieb an der Mauer stehen und sah, daß Putz in Fladen von den Mauern bröckelte, selbst der Türklopfer war abgefallen.
Oma Wetterwachs glaubte nicht an Atmosphären oder übernatürlichen Auren. Eine Hexe zu sein beruhte ihrer Ansicht nach auf dem, was man nicht glaubte. Dennoch zog sie die Möglichkeit in Erwägung, daß dieses Gebäude etwas sehr Unangenehmes enthielt, wenn auch nichts Böses. Die beiden vermeintlichen Frauen waren ebensowenig böse wie ein Dolch oder eine hohe Klippe. Böse zu sein bedeutet, eine Wahl treffen zu können. Die Hand, die mit einem Dolch zustieß oder jemanden über den Rand der hohen Klippe schob, mochte böse sein. Etwas in der Art ging hier vor.
Esme wünschte sich, nicht zu wissen, wer dahintersteckte.
Leute wie Nanny Ogg gibt es überall. Ein spezieller morphischer Generator scheint allein alte Frauen zu produzieren, die gern lachen und nichts gegen einen Halben einzuwenden haben, erst recht dann nicht, wenn darin ein Getränk ist, das man normalerweise nur in viel kleineren Gläsern serviert. Derartige Personen findet man an jedem beliebigen Ort, und meistens sind sie zu zweit. 20
Sie haben die Tendenz, sich gegenseitig anzuziehen. Vielleicht senden sie unhörbare Signale, die besagen: Hier ist jemand, der nicht zögert, Bilder von den Enkeln anderer Leute mit einem lauten »Ooooh, wie süß!« zu bewundern.
Nanny Ogg hatte eine Freundin gefunden. Sie hieß Frau Nett, war Köchin und die erste Schwarze, mit der Nanny plauderte. 21 Sie gehörte zu jenen vornehmen Köchinnen, die mitten in der Küche auf einem thronartigen Stuhl hofhielten und dem Geschehen um sie herum scheinbar keine Beachtung schenkten.
Gelegentlich erteilten
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