Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
französisch. Das sage ich jetzt Ihretwegen.«
» Danke für den Rat, Augustin.«
Er ging, Viviane legte die Füße auf den Tisch, um besser nachdenken zu können. Sie gab sich also nicht damit zufrieden, sehr medial zu sein, verrückt genug zu sein, um mit einem Medium zu verkehren, sie war auch noch » so richtig typisch französisch« und sich dessen nicht einmal bewusst. Sie hatte gedacht, die ganze Polizei sei so, aber da musste erst Monot kommen, um sie zu warnen. Sie musste das schnell korrigieren, schneller noch als ihr Übergewicht.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie in ihrer ideologischen Neupositionierung. Wachtmeister Pétrel brachte einen Karton mit Post aus dem Hauptkommissariat. Der Artikel über den Besuch bei Astrid Carthago hatte dem Okkultismus Tür und Tor geöffnet, und nicht wenige Spinner hatten den Weg hindurch schon gefunden. Jetzt, da die Polizei die Esoterik schätzen gelernt hatte, boten viele ihre Dienste an. Sie hatten den Sonntag damit verbracht, das Geheimnis des Sonetts zu lüften, und die Früchte dieser Arbeit schnell am Quai des Orfèvres abgeliefert, ebenso schnell, wie man diesen zweifelhaften Schatz jetzt zu Viviane brachte. Jegliche Kryptogrammtechnik war in Betracht gezogen worden, und jede kam zu einigen Resultaten. Zu unterschiedlichen Resultaten natürlich.
Mit der Methode der diagrammatischen Substitution von Giambatista della Porta war es einem Forscher gelungen, das Wort alkimia in der Mitte des Gedichts zu finden, ein gutes Zeichen. Aha! Andere hatten dem Rebekka-Code den Vorzug gegeben, um einige Wörter zu isolieren. Insbesondere hatte man gefunden: calix und ponant. Mit dem System von Vigenère hatte man Schlüssel und Azur herausgearbeitet. Und die polyalphabetische Technik von Johannes Trithemius schließlich hatte erlaubt, Dämon und spiritus aus dem Text herauszuschälen.
Alle versprachen sie, ihre Nachforschungen weiterzubetreiben und sich für eine eventuelle Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei bereitzuhalten, auch auf freiwilliger Basis. Einer dieser Spinner versicherte, das Gedicht sei eine » einfache Prophezeiung«, die den Zweiten Weltkrieg ankündige: Der Körper, prächtig und schwarz, als Einheiten der Naziarmee, die sich an der sapphischen Unschuld, der jüdischen Vestalin vergriffen.
Viviane räumte die umwerfenden Enthüllungen wieder in den Karton und ging sich einen gemischten Salat kaufen. Bei ihrer Rückkehr traf sie auf Monot, der in ihrem Büro auf sie wartete. Er wollte ihr von zwei Telefonaten berichten.
Das erste war eines mit Christophe Le Marrec, der sich sorgte: Seit heute Morgen nahm er Anrufe für Madame Carthago entgegen, bei denen aufgelegt wurde, sobald er abnahm.
» Ich habe ihm angeboten, eine Fangschaltung zu aktivieren, aber er war etwas reserviert wegen der Prominenten unter den Kunden. Sie verlangen Diskretion. Christophe Le Marrec wollte wissen, ob ich ihm die absolute Verschwiegenheit unserer Truppe garantieren könne. Was soll ich ihm antworten?«
» Absolute Verschwiegenheit garantieren? Die Antwort ist Nein.« Sie hatte das nüchtern gesagt, aber am liebsten hätte sie geheult.
» Ich habe auch mit Patricia Mesneux gesprochen«, fuhr Monot fort. » Bei ihr ist es ähnlich, sie erhält anonyme Anrufe. Sie will Anzeige erstatten und eine Entschädigung verlangen.«
» Sagen Sie ihr, das ist der Preis für den Ruhm durch Medien.«
Das Telefon klingelte. Es war der Allmächtige. Sie gab Monot ein Zeichen hinauszugehen. Das würde der beste Moment des Tages sein, sie stellte sich auf Glückwünsche ein.
Aber seine Stimme klang merkwürdig kalt. » Ich habe von der Sache mit Tolosa Wind bekommen, meine kleine Viviane. Die Ergebnisse liegen auf dem Tisch, und ich weiß nicht, wie ich es Ihnen…«
» Oh, da gibt es nichts zu sagen, Herr Kriminaldirektor, das ist unser Job. Und Lieutenant Monot hat sich seinen Applaus verdient.«
» Nein, Viviane, Applaus ist hier nicht angebracht. Das ist sehr heikel, diese Verhaftung quasi am Sterbebett der alten Mutter. Das wird uns als Feigheit ausgelegt werden, und es wird den Medien nicht gefallen. Lieutenant Monot hat nur getan, wie ihm befohlen wurde, aber Sie hätten abwarten müssen, bis Tolosa wieder herauskommt, und ihn dann draußen festnehmen.«
» Nein, dort gibt es vier Ausgänge, da hätte er uns leicht entwischen können.«
» Man wird uns vorwerfen, dass wir ihm keine Chance gelassen haben, verstehen Sie?«
Ihm eine Chance lassen? Was für eine Chance?
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