Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
Panik aufkommen. Sie hatte noch nie mit einem Verstorbenen gesprochen, es war sehr schwierig.
» Beeilen Sie sich, eine Frage«, drängte sie Astrid.
» Wer hat ihn zur Académie Française geschickt?«
Wieder schrieb das Medium, dann legte es den Stift ab.
» Das war’s, er ist weg. Sie waren schlecht vorbereitet auf die Begegnung, das ist schade. Sie können ihn frühestens in drei Monaten wieder anrufen, so verlangt es die Deontologie von uns. Die Verstorbenen hängen sich sonst zu sehr an die Lebenden.«
Astrid nahm das Blatt, das von zittrigem Gekritzel bedeckt war, und las es mit ihrer Kundin: » Ich habe ihn gefragt, ob er uns etwas zu sagen habe, er hat geantwortet: ›Meine hundert Mäuse, meine hundert Mäuse!‹ Ergibt das für Sie einen Sinn? Danach haben Sie ihn gefragt, wer ihn umgebracht hat, er hat geschrieben: ›Ich weiß es nicht‹, dann wollten Sie wissen, wer ihn in die Académie geschickt hat, er hat geschrieben: ›Ein Unbekannter‹. Das ist alles. Sie sehen enttäuscht aus.«
» Ich hatte auf genauere Antworten gehofft, Details, Namen.«
» Das ist immer so. Die Kunden glauben, dass die Verstorbenen dort, wo Sie sind, alles über unsere kleinen diesseitigen Geschichten wissen. Sie tun, was sie können, die armen Toten. Sie haben genügend Distanz, um etwas zu beurteilen, aber deswegen sind sie nicht allwissend.«
» Aha, ich verstehe«, seufzte Viviane devot.
» Die Viertelstunde ist noch nicht um. Möchten Sie, dass ich noch jemand anderen anrufe?«
» Ja, Charles Baudelaire.«
» Ah, Baudelaire, der gute Baudelaire«, rief Astrid aus, als handelte es sich um einen alten Liebhaber von ihr. » Was werden wir ihn fragen?«
» Ich wüsste gerne, ob dieses Gedicht von ihm ist«, sagte Viviane und hielt ihr ein Porträt des Dichters und die Fotokopie des Sonetts hin.
» Das ist wenigstens konkret und einfach. Die Antwort kann nur Ja oder Nein lauten. Ich beginne.«
Astrid bereitete ein neues Blatt vor und begann wieder mit der Anrufung im Gebet, die dieses Mal viel länger dauerte als vorhin. » Ich hab ihn«, sagte sie endlich. Sie schrieb einige Wörter auf, noch bevor sie mit einer Unterhaltung begann. Sie machte ein langes Gesicht und legte den Stift ab. » Er hat den Kontakt gleich wieder abgebrochen, ich weiß nicht, warum. Sehen wir einmal«, sagte sie und las, was auf dem Blatt stand. Eine schwungvolle, feine Schrift hatte notiert: Mit Bullen spreche ich nicht. » Er ist heute nicht sehr liebenswert. Sind Sie von der Polizei?«, wunderte sich Astrid, indem sie einen Blick auf den Fragebogen warf. » Schade, dass Sie uns das verschwiegen haben, das hat ihm missfallen.«
Es war Zeit, dieser Komödie ein Ende zu bereiten. Viviane fragte: » Und Sie persönlich, haben Sie mir nichts zu sagen?«
Astrid bedeutete ihr, näher zu kommen, und flüsterte ihr ernst ins Ohr: » Ich kann Ihnen sagen, dass Sie einen guten professionellen Reflex hatten, indem Sie mich aufgesucht haben: Die Toten sind manchmal redseliger als die Verdächtigen. Schade, diesmal waren Sie zu unsystematisch. Aber kommen Sie häufiger.«
» Was die Sache mit dem Sonett betrifft, haben Sie mir nichts weiter zu sagen?«
» Das Sonett, das Sie mir gezeigt haben, ist ein Fall von Ihnen? Nein, ich verstehe nicht, was Sie meinen. Außerdem ist die Viertelstunde um.«
Sie läutete die Glocke und brachte die Kommissarin zum Ausgang. Viviane war unsicher, welche Haltung sie annehmen sollte. Sollte Sie sich aufregen oder bezahlen und davonlaufen, mit gesenktem Kopf, wie das Opfer eines gemeinen Streichs? Egal wie, in jedem Fall würde sie ein erbarmenswertes Bild abgeben.
Astrid Carthago hatte sich zurückgezogen. Christophe war wieder da und ließ ihr keine Wahl. » Hundert plus zweihundert, macht dreihundert Euro!«
Die Kommissarin bezahlte bar und bat um eine Quittung, die sie nur schwer als Spesen würde absetzen können. Aber sie wollte etwas haben für ihr Geld. Ihr kam wieder die Legende in den Sinn: ›Eine interessante Informationsquelle‹. Und wenn Christophe die Quelle war? Fragend heftete sie ihren Blick auf ihn. » Haben Sie mir vielleicht etwas zu sagen?«
Er musterte sie, und Viviane errötete. Er schien sie für eine alte, lüsterne Frau zu halten.
Sie beharrte: » Vielleicht möchten Sie mich in einem privateren Umfeld treffen. Geben Sie mir Ihre Kontaktdaten, ich lasse Ihnen meine Handynummer da.«
Christophe nahm eine von Astrids Karten, schrieb eine Handynummer und seinen Namen auf die
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