Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
aufzusuchen. Sie erwähnte Details über die Technik und Dienstleistung von Astrid Carthago und stellte Mutmaßungen über den Hilferuf an, den die Kommissarin wohl an sie gerichtet hatte.
Was Viviane zutiefst erschütterte, war dieses kleine » ohne Wissen der Medien«, als ob sie gezwungen sei, ihnen über alles, was sie tat und dachte, Rechenschaft abzulegen. Sie begriff nichts in diesem Fall, was hätte sie denen also sagen können?
Wer hatte die Journalistin über ihren Besuch bei Astrid Carthago in Kenntnis gesetzt? Wer war an diesem Nachmittag im Büro gewesen? Doch selbst das müsste noch nichts bedeuten, sie hatten danach vielleicht noch darüber geredet. Es war möglich, dass man über sie sprach, sie kritisierte, nur fiel es ihr schwer, sich das vorzustellen, sie fühlte sich ihren Männern so nah.
Warum hatten sie das getan? Wegen der Geschichte mit Tolosa? Sie müsste diejenige sein, die ihnen das übelnahm, nicht umgekehrt. Oder war sie so unerträglich geworden, dass sie ihre Versetzung bewirken wollten, indem sie sie durch einen miesen Trick in unmögliche, lächerliche Situationen brachten? Solche Manöver sah man häufig in Kriminalserien im Fernsehen.
Sie konnte es nicht glauben. Die Falle war ihr wahrscheinlich ganz einfach von einem Paparazzo gestellt worden, der erst die Einladung formuliert und sich dann versteckt hatte, darauf lauernd, dass sie ihm bei dem Medium ins Netz gehen würde. Wahrscheinlich der Typ mit der Tasche, den sie auf dem Gehweg gegenüber gesehen hatte. So ein Scoop ließ sich sicher teuer verkaufen.
Morgen würde sie die Reporter vom Journal du Dimanche anrufen, um zu erfahren, wer ihr Informant war, aber die würden sie nur auslachen: Die Informationsfreiheit funktionierte eben nur in eine Richtung.
Der Artikel mündete in ein Kästchen mit einem Interview von Christophe Le Marrec. Er weigerte sich vornehm, die sehr mediale Kommissarin Viviane Lancier beziehungsweise ihren Besuch preiszugeben. Die Vertraulichkeit der Besuche seien eine berufsethische Verpflichtung. Astrid Carthago habe viele Kunden aus dem Showbusiness, es komme nicht infrage, die Namen, in der Hoffnung auf eine sinnlose Verbreitung durch die Medien, in alle Winde hinauszuposaunen– seine Chefin habe mehr als genug Kunden.
Es gab also Berufe, in denen man eine sinnlose Verbreitung durch die Medien ablehnen durfte, um nicht zu viele Kunden zu haben. Viviane war neidisch.
Sie genehmigte der sehr medialen Kommissarin Lancier ausnahmsweise eine Siesta. Am Abend würde sie mehr Durchblick haben. Als die Nacht angebrochen war, wachte sie mit einem pelzigen Gefühl im Mund auf und setzte sich vor den Fernseher, bis sie wieder in einen tiefen Schlaf fiel.
Montag, 4 . Februar
Der Tag begann schlecht. Da es draußen schön war, beschloss Viviane ihr rosa Kostüm anzuziehen, das ihrem jungen Lieutenant so gefiel. Sie passte nicht hinein.
Im Büro angekommen ließ sie Monot antreten. » Haben Sie den Artikel im Journal du Dimanche gesehen? Wer hat das ausgeplaudert, Sie etwa?«
» Nein, Commissaire, mein Wort darauf. Ich habe die ganze Truppe gefragt, niemand hat etwas gesagt. Wissen Sie, diese Geschichte ist ein Desaster für das Image der Kripo.« In dieser Antwort lag so viel Mitleid, so viel Kummer, dass sie weinen wollte. Aber das kam nicht infrage, sie war die Chefin. Sie erzählte ihm von der Sitzung, in einem Tonfall– so gutmütig wie nur möglich. » War in der Presse irgendwo Mesneux’ letzter Satz zu lesen gewesen? ›Meine hundert Mäuse, meine hundert Mäuse‹, Sie wissen schon?«
» Ja, Commissaire, ich habe das in einem Interview erzählt, andere Zeitungen haben das dann aufgenommen.«
Sie nickte nachdenklich: Astrid hatte also nichts alleine herausgefunden, ihre dreihundert Euro würden bestimmt nicht erstattet werden. » Sagen Sie, wo Sie doch im Internet surfen, wie war die Resonanz auf diesen Besuch bei der Carthago?«
» Die war riesig, Commissaire. Das war auf allen Zeitungsseiten und in den Leserforen zu finden.«
Viviane zischte ein » Scheißmedien« und wollte Monot hinauskomplementieren, aber der schaute sie angespannt an. » Kann ich offen mit Ihnen reden, Commissaire? Sie sollten mit den Medien anders umgehen. Diese Art Kommentar wirft ein schlechtes Licht auf Sie. Ich, ich kenne Sie, ich weiß, was Sie draufhaben. Aber von außen betrachtet wirkt das…«
» Wie, Monot? Na sagen Sie schon, wie ein Bulle?«
» Oh, nein, nicht einmal das:… so richtig typisch
Weitere Kostenlose Bücher