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Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)

Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)

Titel: Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Flipo
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Straßen von Paris merkwürdig verjüngt. Viviane fühlte sich wie diese Straßen, als sie aus der Dusche kam. Sogar die Waage war ihr wohlgesonnen und schlug wieder nach links aus. Kurz darauf ging Fabien, so leicht und zart wie ein Soldat auf Heimaturlaub.
    Am Kiosk reichte man ihr eine Journal du Dimanche mit vorwurfsvoller Miene. Schlechtes Zeichen, wahrscheinlich sprach man irgendwo von ihr. Auf Seitefünf fand sie dann ein Bild des verängstigten Cucheron. Er erzählte, wie man ihn behandelt hatte, als er, vom Tode bedroht, um Polizeischutz gebeten habe: » Solange Sie lebendig sind, nützt es nichts zu kommen.« Aber, schloss er, er habe die Polizei mit Erfolg auf ihre Verantwortlichkeiten hingewiesen und recht bekommen. Nun könne er sich mit bestem Wissen und Gewissen gänzlich der Expertise widmen, die für die Ermittlungen von so großer Wichtigkeit sei.
    Etwas später rief der Allmächtige an, was er noch nie an einem Sonntagmorgen getan hatte. Sie hatte immer geglaubt, dass er ihn beim Gottesdienst oder unter seiner Decke verbrachte. » Meine kleine Viviane, ich werde Ihnen den Sonntag verderben. Ein Informant hat uns unerfreuliche Neuigkeiten geliefert. José Tolosa will Ihnen an den Kragen. Sie haben ihn des letzten Seufzers seiner Mutter beraubt, das will er Ihnen heimzahlen. Sie müssen sehr vorsichtig sein.«
    Viviane wusste, dass solche Dinge passieren konnten, auch wenn man nie darüber sprach. Zu heikel für alle. Ihr liefen Schauer über den Rücken, aber nicht um ihretwillen. » Und Lieutenant Monot?«
    » Monot auch. Nett, dass Sie an ihn denken. Wir werden ihn warnen.«
    Der Allmächtige wollte diese Sache herunterspielen, aber das ließ sie nicht zu. Also schwenkte er um auf einen anderen Fall. Den, der ihr Kommissariat seit drei Wochen umtrieb. » Und das Sonett, Viviane? Wie steht es damit?«
    Sie wusste nicht, was sie antworten sollte, hörte sich aber zu ihrer Überraschung sagen: » Schlecht. Ich habe Verdächtige, aber ich glaube nicht, dass es die richtigen sind. Der echte Mörder muss ein Irrer sein, ein Spinner, der diesen wenigen Zeilen größte Bedeutung zumisst. Also tötet er alle, die sich dem nähern, damit seine Wahnvorstellungen ernst genommen werden.«
    Es folgte ein kurzes Schweigen. Sie konnte sich das verblüffte Gesicht des Allmächtigen vorstellen. » Hm, so habe ich das nicht gesehen, aber es passt. Arbeiten Sie an dieser Hypothese, das interessiert mich. Und passen Sie auf sich auf.«
    Sie fühlte dumpfen Groll gegen Monot in sich aufkommen: Nicht genug, dass er sich in Spinnereien verlor, nein, jetzt zog er auch noch seine Vorgesetzten mit hinein.
    Trotzdem war es ein schöner Sonntag. Sie aß zum Frühstück eine Ananas, erste Phase der Mayo-Diät. Mal sehen, was das brachte. Bevor sie laufen ging, zögerte sie kurz, ob sie ihre Sig Sauer mitnehmen sollte, aber die Waffe war zu schwer. Sie begnügte sich mit ihrem Handy.
    Das Joggen machte ihr keine Freude. Sie fühlte sich wie Freiwild. Jeder Spaziergänger, den sie überholte, konnte ihr letzter sein: Er würde schneller werden, bis er auf gleicher Höhe mit ihr war, wie sie es mit Tolosa gemacht hatte, und ihr eine Pistole an die Schläfe halten. Mit dem Unterschied, dass er abdrücken würde. Wahrscheinlich würde sie bald nicht mehr daran denken. Aber der erste Tag, an dem man seine Sterblichkeit entdeckte, war nicht wie die anderen. Sie hatte sich vorgestellt, dass man dann gierig die frische Luft einatmete, vor dem kleinsten Krokus oder Vogelgesang in Entzücken geraten würde. Aber nein: Man wollte einfach schnell damit Schluss machen. War es, weil es in ihrem Leben nichts gab, dem sie nachtrauern konnte? Ja, das war es, was sie traurig machte. Sie schaute auf ihr Telefon: Vielleicht fand sie dort eine Nachricht, die eines Freundes, der sie beruhigen würde.
    Sie hatte acht Nachrichten von all den Leuten, denen sie in diesem Fall begegnet war. Aber sie waren es, die um Hilfe baten. Sie hatten das Interview mit Cucheron im Journal du Dimanche gesehen und fragten sie nun: warum nicht ich?
    Louis Saint-Croÿ, drei Anrufe, wollte zu sich nach Paris zurückkehren: Er sei schon einmal Ziel eines Anschlags geworden, er habe Vorrang, ein Recht auf Polizeischutz. Christophe Le Marrec, zwei Anrufe, fragte freundlicher danach – nicht für sich, sondern für Astrid. Patricia Mesneux fragte sich, ob ein Leben in Asnières weniger wert sei als eines in Paris? Xavier Baudelaire wollte wissen, was die Kommissarin für

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