Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
hatte ihre Karriere ins Rollen gebracht.
» Ist Ihnen das aufgefallen, Monot, einzig Xavier Baudelaire ist nicht mit von der Partie. Sein Name wurde den Raubtieren nicht vorgeworfen, er hat Glück.«
Mittwoch, 13 . Februar
Cucheron brachte ihnen, ganz kleinlaut, das Ergebnis seiner Untersuchungen. » Es tut mir leid wegen des Artikels neulich, Commissaire, meine Aussagen wurden verdreht, das ist ein Missverständnis.«
Ein Missverständnis! Viviane verabscheute dieses Wort, sie hatte es immer als eine feige Ausrede gewertet. Eisig sagte sie: » Zeigen Sie uns lieber die Ergebnisse Ihrer Untersuchung, das macht Sie glaubwürdiger.«
Die Schlüsse waren klar: Beide Texte stammten aus derselben Feder, aus derselben Zeit. Aber es gab da eine Auffälligkeit.
» Vielleicht eine normale Auffälligkeit«, erklärte Cucheron sich. » Augenscheinlich sind beide Texte in einem Fluss geschrieben worden, übrigens mit schöner Regelmäßigkeit. Man sieht, dass Baudelaire zu dieser Zeit dem Alkohol noch nicht so verfallen war. Die Zeilen sind recht gerade, die Zeichen konstant, mit wenig Varianten. Aber die Schrift spiegelt doch eine außergewöhnliche Spannung wider.«
» Sie meinen Furcht, Angst?«
» Ja, vielleicht. Sagen wir, Baudelaire hat diesen Text geschrieben und ihm dabei eine ungewöhnliche Bedeutung beigemessen. Im Idealfall bräuchte ich die Originale, um besser untersuchen zu können, wie viel Druck auf die Feder ausgeübt wurde. Doch das kann man auch anhand der Fotokopien schon gut sehen.«
Er legte sein umfangreiches Gutachten auf den Schreibtisch. Ah, die Medien wollten alles in extenso bekommen, das konnten sie haben! Cucheron ging, hinterließ einen üblen Mief und seine Rechnung, die er Viviane gab. Sie legte ein Post-it dazu und wies die Buchhaltung an, sich mit der Zahlung Zeit zu lassen, man würde das als Missverständnis erklären.
Es war Zeit für die Pressekonferenz, Viviane war entspannter als sonst: Heute würde sie stumm bleiben, sie würde dem Lieutenant zuhören, wie er seine Nummer abzog.
» Tja«, sagte sie ihm in ihrem Clio, » das Sonett von Baudelaire ist also von Baudelaire, sind Sie zufrieden?«
» Ja. Ein Sonett wie dieses hat einen Platz in seinem Werk.«
» Nein, Monot, ich meinte, ob Sie zufrieden sind mit den Ermittlungen.«
» Ich weiß nicht. Das ist das einzige Geheimnis, das wir in dieser Sache lüften konnten, aber das macht es nicht einfacher.«
» Wenigstens werden Sie etwas haben, das Sie auf der Pressekonferenz erzählen können. Sagen Sie denen, dass die Ermittlungen an einem toten Punkt angekommen sind, was den Rest betrifft, das ist nur die Wahrheit.«
Alles lief nach Plan. Die Echtheit des Sonetts wurde mit Gleichgültigkeit registriert: Die Medien hatten schon lange eine Gewissheit daraus gemacht. Monot stürzte sich also in einen großartigen Monolog über die allgemeine Anordnung der Manuskriptseite. Alles ließ er mit einfließen, die runde Binnenform des g, die einen Verweis auf das Gefühlspotenzial bot, und seine unvollendete Unterlänge, die auf eine ungeschickte Nutzung desselben verwies; die Neigung des Buchstaben l und die intellektuellen Begabungen, von denen es zeugte– im Publikum sah man auf die Uhr, rutschte diskret in die hinteren Ränge. Als Monot zum Buchstaben r und auf seinen gesäumten, gemeißelten Charakter zu sprechen kam, wie von der Feile eines Goldschmieds gemacht, war der Saal zu drei Vierteln leer.
Schließlich erklärte Monot, er habe ein wenig schnell referiert, könne aber gerne mehr Details geben, wenn es im Publikum noch Fragen gebe. Viviane hätte ihn küssen können, die Pressekonferenz war zu Ende.
Donnerstag, 14 . Februar
Über den Valentinstag konnte man nicht schlecht genug reden. Viviane war übel gelaunt aufgestanden, sie hasste die kollektive Verherrlichung intimer Gefühle. Als ihr Assistent sie so mürrisch ankommen sah, versuchte er gar nicht, sie zu beschwichtigen. Er hielt ihr die Ausgabe der 20 minutes hin.
» Dafür bin ich verantwortlich, tut mir leid.«
Auf der ersten Seite hieß es: » Der versteckte Zeuge im Sonett-Fall.« Und als Untertitel: » Warum Xavier Baudelaire Angst hat.« Der Artikel kommentierte lediglich die Existenz dieses Zeugen, den man zu verstecken suchte. Keine Adresse, keine Fotos, auch kein Kill Mouch’, aber Spekulationen über die Rolle von Baudelaire beim Verschicken des fatalen Umschlags. Und Kommentare zum doppelten Spiel der Kommissarin Lancier, die die Medien weiterhin
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