Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
einem Satz wie ein Tiger um den Altar herum. Gleichzeitig knallte an der Tür ein Revolver – der Chinese drehte sich um seine Achse, der Dolch entglitt seiner Hand und er sackte zu Boden.
Gordon, noch mit rauchendem Revolver in der Hand, stürzte durch die Tür, wo noch vor wenigen Augenblicken Zuleika gestanden hatte. Hinter ihm drängten drei hünenhafte Männer in Zivil in den Raum. Gordon durchschnitt meine Fesseln und zerrte mich in die Höhe.
»Schnell, wo sind sie hin?«
Im Raum war niemand außer mir, Gordon und seinen Leuten, sah man von den beiden Leichen auf dem Boden ab.
Ich fand die Geheimtür und entdeckte nach ein paar Sekunden den Hebel, mit der sie sich öffnen ließ. Mit gezogenen Waffen drängten sich die Männer um mich und spähten nervös in den dunklen Treppenschacht. Kein Laut drang aus der vollkommenen Finsternis.
»Das ist unheimlich!«, murmelte Gordon. »Ich vermute, der Meister und seine Gefolgsleute sind in diese Richtung gegangen, als sie das Gebäude verließen – denn hier sind sie ja ganz offensichtlich nicht! Leary und seine Männer hatten den Auftrag, sie entweder im Tunnel oder im Hinterzimmer von Yun Shatus Kneipe aufzuhalten. Jedenfalls hätten sie uns das inzwischen so oder so melden sollen.«
»Vorsicht, Sir!«, rief einer der Männer plötzlich. Gordon schlug unter lautem Seufzen mit dem Lauf seines Revolvers zu und zerschmetterte den Schädel einer Riesenschlange, die lautlos über die Stufen aus der Finsternis nach oben gekrochen war.
»Sehen wir, was hier los ist«, sagte er und richtete sich auf.
Aber ehe er die erste Treppenstufe betreten konnte, hielt ich ihn auf. Mir lief es eisig über den Rücken und ich begann allmählich zu begreifen, was hier geschehen war – die Stille in dem Tunnel, die Abwesenheit der Detektive, die Schreie vor ein paar Minuten, als ich auf dem Altar lag. Ich untersuchte den Mechanismus, der die Tür geöffnet hatte, und fand daneben einen anderen, kleineren Hebel – allmählich ahnte ich, was jene geheimnisvollen Truhen im Tunnel enthielten.
»Gordon.« Seine Stimme klang heiser. »Haben Sie eine elektrische Taschenlampe?«
Einer seiner Männer zog sie aus der Tasche.
»Leuchten Sie in den Tunnel. Aber wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, setzen Sie keinen Fuß auf die Stufen.«
Der Lichtstrahl schnitt durch die Schatten, leuchtete den Gang aus und zeichnete deutlich eine Szene nach, die mich für den Rest meines Lebens verfolgen wird. Auf dem Boden des Tunnels, zwischen den Truhen, die jetzt alle offen gähnten, lagen zwei Männer, die Londons bestem Geheimdienst angehörten. Mit verkrümmten Gliedern und schrecklich verzerrten Gesichtern lagen sie da und über ihnen wandten sich in langem, schuppigem Glanz Dutzende scheußliche Reptilien.
Die Uhr schlug fünf.
Kapitel 13: Der blinde Bettler im Auto
Ein Bettler, einem Schurken gleich,
giert er nach Brot und Bier.
G. K. Chesterton
Die kalte, graue Morgendämmerung stahl sich über den Fluss, während wir in der verlassenen Bar im Tempel der Träume standen. Gordon befragte die beiden Beamten, die vor dem Gebäude Wache gehalten hatten, während ihr bedauernswerter Kollege hineingegangen war, um den Tunnel zu erkunden.
»Sir, als wir den Pfiff hörten, stürmten Leary und Murken in die Bar und stießen die Tür zur Opiumkammer auf. Wir haben unterdessen wie befohlen am Eingang zur Bar gewartet. Gleich darauf kamen ein paar zerlumpte Kiffer herausgetaumelt und wir haben sie gepackt. Aber sonst hat niemand den Raum verlassen und wir haben nichts von Leary und Murken gehört, also haben wir einfach gewartet, bis dann Sie kamen, Sir.«
»Sie haben keinen hünenhaften Schwarzen oder den Chinesen Yun Shatu gesehen?«
»Nein, Sir. Nach einer Weile sind die Kollegen von der Streife gekommen und wir haben eine Blockade um das Haus gebildet, aber gesehen haben wir niemanden.«
Gordon zuckte die Achseln. Ein paar beiläufige Fragen hatten genügt, um ihn davon zu überzeugen, dass die Festgenommenen harmlose Süchtige waren, und er hatte sie freigelassen.
»Sind Sie sicher, dass sonst niemand herausgekommen ist?«
»Ja, Sir – nein, warten Sie. Ein jämmerlicher alter blinder Bettler hat das Gebäude verlassen, schmutzig, in Lumpen. Ein verwahrlostes Mädchen hat ihn geführt. Wir haben ihn angehalten, aber nicht festgenommen – eine so erbärmliche Gestalt konnte doch nicht gefährlich sein.«
»Nein?«, stieß Gordon hervor. »In welche Richtung ging er denn?«
»Das Mädchen
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