Tote essen kein Fast Food
Anschlusskabel gefunden und installiert hätte, wäre der angedrohte Datenverlust eingetreten und das Teil hier in aller Ruhe abgekackt. Ich knallte den Deckel zu und gab einer der Krücken einen Tritt, dass sie bis vors Fenster rutschte.
9
„Sag mal, Martin“, fragte ich so beiläufig wie möglich beim Abendessen, für das ich mich nach unten begeben hatte, „hast du schon mal was vom Lister Urwald gehört?“
„Klar hab ich das. Den habe ich zusammen mit der Dorfjugend unsicher gemacht. Früher, als ich in den Sommerferien bei Tante Hedi zu Besuch war. Liegt ganz hier in der Nähe.“
„Und wie sieht es da aus?“
„Nach grüner Hölle“, sagte Martin und riss die Augen hinter seinen Brillengläsern auf. „Schuhuu, Schuhuu … Meterhohe Urwaldriesen, die von Lianen überwuchert sind, glucksende Mangrovensümpfe und jede Menge wilder Tiere und Monsterspinnen, die sich im dichten Unterholz tummeln.“ Er hatte ein todernstes Gesicht aufgesetzt.
„Und gelegentlich kommt ein Mammut des Wegs und macht vorwitzigen Archäologen Beine“, sagte Svea trocken und angelte sich noch einen Matjes von dem Teller in der Mitte.
„Genau.“ Martin grinste. „Der Lister Urwald heißt so, weil er im Vergleich zur übrigen Heide- und Dünenlandschaft geradezu ein Dickicht ist, vor allem jetzt im Sommer. Eigentlich ist es nur ein kleiner Laubwald am Ortsrand Richtung Königshafen.“
„Gibt es da Gebäude drin?“, fragte ich.
„Vielleicht den einen oder anderen Schuppen. Und den Rest von einem Luftschutzraum, glaube ich.“ Dabei zog er die Augenbrauen hoch und blickte mir über den Rand seiner Brille tief in die Augen. „So genau weiß ich das nicht mehr. Ich erinnere mich nur, dass das Gelände nicht gerade krückentauglich ist. Vielleicht solltest du mit einem Besuch warten, bis du wieder ohne gehen kannst.“
„Na, das kann dauern“, erwiderte ich muffig.
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Susanne? Bist du wach? Kannst du genauso schlecht schlafen wie ich? Sorry, aber selber schuld. Im Gegensatz zu mir. Ich bin nicht selber schuld, aber ich kann trotzdem nicht schlafen. Verdammt unfair, oder?
Weißt du was? Ich hab überhaupt keine Lust, mit dir zu reden. Aber ich kann nicht damit aufhören. Jede Nacht sitze ich mit dir in der Küche oder auf meinem Bett unter dem Glasscherben-Mobile, das du mir zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt hast. Manchmal auch im Garten unterm Apfelbaum und ich rede, rede, rede mit dir. Aber ich kriege keine Antwort.
ICH WILL ENDLICH EINE ANTWORT VON DIR. BITTE …
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Unter dem Vorwand, frischen Lesestoff zu benötigen, ließ ich mich von Martin am nächsten Vormittag zur Lister Bücherhalle fahren. „Kann ein bisschen dauern“, sagte ich zu ihm, als er mich an dem Plattenweg absetzte, der zur Eingangstür führte, und dort auf mich warten wollte. „Vielleicht kannst du mich in einer Stunde abholen?“
„Okay“, sagte er, erstaunt über meinen vermeintlichen literarischen Eifer. „Geht klar.“ Ich blickte ihm nach, bis er mit dem Jeep um die Ecke verschwunden war. Dann drehte ich mich um und humpelte Richtung Eingang.
„Geöffnet: mittwochs 15.30–18.30 Uhr“, stand in aufgeklebten Folienbuchstaben an der Glastür, was ich erst bemerkte, als sie sich partout nicht öffnen ließ. Mist, damit hatte ich nicht gerechnet und heute war natürlich Donnerstag. Am liebsten hätte ich der Tür einen Tritt versetzt, bloß mit welchem Bein? Das eine war schon verletzt und das andere brauchte ich, um darauf zu stehen. Aber wozu hatte ich schließlich meine Krücken … Tja, bis nächste Woche dann, Herr Voigt, falls es dich hier überhaupt gibt.
Ich drehte mich um, hoppelte zur Straße zurück und ließ mich umständlich auf dem niedrigen Metallzaun nieder, der das Gelände einrahmte. Großartig. Martin war weg und ich konnte mich jetzt entweder zu Fuß auf den Heimweg machen oder ihn gleich wieder anrufen. Ich entschied mich für anrufen, aber es war nur die Mailbox dran. „Der gewünschte Teilnehmer ist …“, äffte ich die Frauenstimme nach, die mit aufreizender Sachlichkeit in mein Ohr blökte, und würgte sie ab. Wahrscheinlich lag Martins Handy noch neben dem Bett, wo es als Wecker Dienst tat. Oder es steckte in einer Jacke, die er gerade nicht anhatte.
Drei Minuten lang hackte ich mit meiner Krücke auf einem Fetzen Kaugummipapier herum, der auf dem Gehweg lag. Dann beschloss ich widerwillig, Svea anzurufen. Nach meinem Bunker-Unfall hatte sie mir ihre Handynummer gegeben.
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