Tote essen kein Fast Food
„Sicherheitshalber“, wie sie sagte.
Beinahe hätte ich es übersehen, als ich mich zum Buchstaben S auf meinem Display durchfummelte. Doch mein Unterbewusstsein schrie „Stopp. Zurück!“, als ich gerade bei „Svea“ angelangt war. Eine Zehntelsekunde später fokussierten sich meine Augen auf einen Eintrag, der mir komplett unbekannt war. Unmittelbar vor Svea stand: Schwimmkurs Jan. Und die dazugehörige Mobilnummer lautete 0172/611… Grins. Da hatte sich dieser Kerl doch glatt erlaubt, seine Nummer in mein Handy zu tackern, während ich quasi schockgefrostet im Bunker saß. Ganz schön dreist. Aber auch irgendwie süß.
Während ich noch darüber nachdachte, ob ich ihm vielleicht eine kleine SMS schicken sollte – „Seepferdchen sucht Schwimmflügel“ – oder so, bremste dicht vor meinen Füßen ein Fahrrad scharf ab. „Mann, geht’s noch?“ Mit gerunzelter Stirn blickte ich auf, um den Fahrer zusammenzufalten. Aber das Wort blieb mir im Hals stecken, was relativ selten vorkommt.
„Statt Rollator?“, frotzelte Jan, ganz ungewohnt in Jeans und Sweatshirt, und stupste mit dem Vorderreifen eine der Krücken an, die vom Geländer gerutscht war. „Eigentlich wollte ich dir nur das Schwimmen beibringen. Aber wie’s aussieht, musst du erst mal wieder laufen lernen.“
„Ja“, sagte das Seepferdchen und ärgerte sich, weil ihm so schnell keine geistreichere Antwort einfiel.
„Was machst du denn hier? Arglosen Passanten mit deinen Krücken ein Bein stellen? Oder bist du auf der Suche nach einem neuen Loch, in das du fallen könntest?“
„Sehr komisch. Ich wollte mir ein Buch ausleihen, aber diese blöde Bücherei hat nur an einem einzigen Tag in der Woche geöffnet. Und der war gestern.“
„Soll ich dich zur Alten Tonnenhalle am Hafen bringen? Vielleicht findest du dort was im Buchladen.“
„Nein, ich such was ganz Bestimmtes. Über Sylt. Das haben die nicht.“
„Na, klar haben die das. Da liegen stapelweise Syltbücher rum.“
„Aber mein Buch ist von 1992. Und schon lange vergriffen.“
„Und warum willst du so einen alten Schinken lesen?“
„Weil … weil …“ Ich kämpfte mit mir. Sollte ich ihm von den unheimlichen Geräuschen im Bunker erzählen auf die Gefahr hin, dass er mich für leicht gestört halten würde?
„Weil?“ Sein eines Grübchen lächelte mich fragend an.
„Weil ich wissen möchte, ob dieser Bunker unter den Dünen noch einen zweiten Ausgang oder vielmehr Eingang hat. Und wenn ja, wo der liegt.“
„Das Gemäuer, aus dem ich dich gezogen habe, soll ein alter Bunker gewesen sein?“
„Ja, sagt jedenfalls mein Vater. Und die meterdicken Betonmauern sprechen auch dafür.“
„Wow.“
„Außerdem: Diese Muffdecke, auf der ich gesessen habe, hatte so einen Rest von einem rötlichen Emblem in einer Ecke. Vielleicht ein Hakenkreuz.“
„Krass.“ Jan stieg vom Rad und setzte sich neben mich auf die Metallstange. Ich erzählte ihm, was mein Vater mir erklärt hatte. Von der Invasion, die dann woanders stattfand. Und von den labyrinthartigen Bunkeranlagen, mit denen im Zweiten Weltkrieg halb Sylt untertunnelt war. Von den mysteriösen Internet-Seiten erzählte ich erst mal noch nichts. Auch nicht von dem Schuss unter Tage.
„Ich bin im Internet auf dieses Buch gestoßen. ‚Die Festung Sylt‘. Da soll was über die Bunker drinstehen. Aber jetzt komm ich da nicht ran bis nächsten Mittwoch.“
„Aber wieso ist das denn so wichtig, ob das Ding noch einen zweiten Eingang hat? Oder Ausgang. Hast du die Absicht, noch mal reinzufallen? Und dann zu gucken, ob du alleine wieder rauskommst? So ’ne Art Survival-Training?“
„Quatsch.“ Ich kämpfte mit mir. „Du hast doch selbst gesagt, dass da ein unterirdischer Gang abging. Richtung Wanderdüne.“
„Mhmm.“
„Als ich da unten in dem Loch saß, hab ich Geräusche gehört.“
„Was für Geräusche?“
„Wie eine Art Echo von etwas.“
„Und von was genau?“
„Ich weiß es nicht. Ich bin wohl eingedöst und von den Geräuschen wieder aufgewacht. Aber ich war so neben mir, dass ich sie nicht richtig einordnen konnte. Es klang wie ein Schaben. Als würde was am Boden oder an der Wand längsrutschen. Und dann …“
„Und dann?“
„… war da was wie ein Schuss“, sagte ich leise.
„Und du bist sicher, dass du das nicht geträumt hast?“, fragte Jan vorsichtig.
„Das hab ich mir gedacht“, fauchte ich, griff mir die rechte Krücke und mühte mich aufzustehen. „Dass du mir
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