Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tote essen kein Fast Food

Titel: Tote essen kein Fast Food Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Baron
Vom Netzwerk:
dir die Ohren voll, warum sie es mit deinem Vater, Schrägstrich: Mutter, nicht mehr aushalten. Und dass du das doch verstehen musst. Sie wollen immer deine Absolution. Und wenn du gar nichts dazu sagst und einfach gehst, fangen sie an rumzuheulen.“
    „Deine Eltern sind auch getrennt?“
    „Gegenfrage: Kennst du noch Leute mit Familie? Mama, Papa, Kind? Zwischen zehn und achtzehn, meine ich?“
    „Wenige. Irgendwie ist Patchwork heute das gängige Muster.“
    „Mainstream sozusagen. Aber ich finde Patchwork einfach nur zum Kotzen“, sagte Jan.
    „Ich auch, egal ob Mainstream oder nicht.“
    „Nur dass du ’ne Mutter in Berlin hast, ist echt cool.“ Jan lächelte mich an und ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus und schien mir bis in die Wangen zu kriechen. Offenbar tickte er ganz ähnlich wie ich. Fühlte sich gut an. Nach mehr, aber darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken.
    „Und was ist nun mit der Kupferkanne?“, fragte ich, um mich selbst abzulenken. „Ist das auch ein alter Bunker?“
    „Exakt“, sagte Jan. Wir erhoben uns, als wir endlich den Bus zurück nach List um die Kurve biegen sahen. „Aber der liegt nur halb unter der Erde und war früher eine Mannschaftsbaracke. Nach dem Krieg hat ein Künstler sein Atelier in dem labyrinthartigen Gemäuer eingerichtet.“
    „Mannschaftsbaracke?“
    „Das heißt, dort haben Soldaten gewohnt. Oder gehaust. Keine Ahnung, wie man sich das vorstellen muss.“
    „Bestimmt eher ungemütlich.“ Ich spürte wieder die kratzige alte Armeedecke an meinen Beinen und mir schauderte. „Aber wenigstens waren die nicht allein da unten.“
    „Du ja vielleicht auch nicht.“
    „Aber was kann da heute sein? Der Zweite Weltkrieg ist seit fast siebzig Jahren vorbei.“
    „Geister.“
    „Quatsch.“
    „Wer weiß, vielleicht spukt da noch die Seele vom Obergefreiten Hermann herum. Oder Schütze Willi sucht in den alten Stollen seinen Stahlhelm. Den mit dem dunkelrot schimmernden Loch an der Schläfe.“
    „Mann, jetzt hör schon auf. Das ist ja scheußlich.“
    „Tja, dann gibt’s wohl nur eine Möglichkeit herauszufinden, wer da heutzutage rumspukt. Jedenfalls solange du den zweiten Ausgang nicht kennst.“
    „Du meinst, ich soll da noch mal rein?“
    „Du sollst gar nichts. Aber wenn du nicht mehr schlafen kannst, weil dich das Thema so brennend interessiert, dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig. Es sei denn …“
    „Es sei denn?“
    „… du treibst einen Sylter Ureinwohner auf, der als Kind womöglich in alten Bombentrichtern oder auf Bunkerschutt gespielt hat und sich in den Gängen auskennt.“
    „Tante Hedi ist leider tot. Die hätte ich nach so was bestimmt fragen können. Wie’s aussieht, kannte sie jedes Vogelnest auf der Insel.“
    „Soviel ich weiß, wachsen Vogelnester aber eher in Bäumen als in unterirdischen Gängen. Und es war garantiert verboten, sich dort herumzutreiben.“
    „Hm.“ Ich musste an die oder den unbekannten P denken. Den von Tante Hedis Bettgestell. Der könnte mir bestimmt auch helfen, wenn er denn noch am Leben wäre. Und wenn ich wüsste, wer er war. Oder sie.
    ----
    Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh? Schläfst du schon? Oder stehst du noch im OP und brauchst nicht nachzudenken? Im Gegensatz zu mir. Leider.
    Aber weißt du was? Ich steh neben dir. Spürst du’s? Ich streiche dir gerade eine deiner braunen Locken aus dem Gesicht, die aus der grünen OP-Haube entwischt ist und dir schweißnass an der Schläfe klebt. Kannst du dabei noch die Haken ruhig halten? Scheißjob. Bisschen wie Schlachthof, oder? Immer in offene Wunden zu gucken. Jede Menge Gedärm, Geschwulst und Geschwür. Und überall Blut, Blut, Blut. Aber wie gesagt, ich bin an deiner Seite.
    Wie fühlst du dich so am Tatort? Vielleicht sollte ich den Plural verwenden: Tatorte! Wo hast du’s denn damals mit dem Herrn Doktor getrieben? Auf dem OP-Tisch? In einem leeren Krankenzimmer, wo gerade einer frisch verstorben war? Ein neues Leben für ein vergangenes, sozusagen? Oder vielleicht in einer Petrischale — in Vorwegnahme der modernen Reproduktionsmedizin, wo bald schon mehr Kinder künstlich gezeugt werden als auf natürlichem Wege. Haha, ich bin doch echt kreativ, oder?
    Ich seh schon den Bildzeitungstext unter meinem Foto: Mia S. aus der Petrischale vom Kreiskrankenhaus Husum. Aber ich wette, ich bin auf natürlichem Wege entstanden. Macht einfach mehr Spaß, was? Vor allem, wenn’s verboten ist. Schließlich hatte

Weitere Kostenlose Bücher