Tote essen kein Fast Food
entschied mich für die Granate, auch wenn ich mich von der langen Strandwanderung so zerschlagen fühlte, als wäre ich bereits hochgegangen und würde jetzt in tausend Fetzen zersprengt zu Boden taumeln.
Oder als hätte mir jemand vorzeitig die Zündschnur abgeschnitten.
13
Mein Fuß fühlte sich nur mittelgut an, als ich am nächsten Vormittag die Treppe hinunterschlich wie eine alte Omi. „Hallo, Fanny, da bist du ja endlich“, begrüßte mich Frida so ekelhaft munter, wie das in ihrem Alter wohl normal ist. Kann mich nicht erinnern. Ist schon so lange her bei mir.
Barfuß, in kurzen Hosen und Labber-T-Shirt balancierte sie im Wohnzimmer auf ihrem Nachttisch-Hocker, der auf zwei Bücherstapel aus Tante Hedis Bildbandregal aufgebockt war. Vorsichtig nahm sie von Svea eine schwarz gefleckte Rohrdommel entgegen, die bis dahin zwei Meter über Normalnull an der Wohnzimmertapete geknabbert hatte. „Was macht ihr denn da?“
„Wir holen diese Gruselviecher von der Wand“, sagte Svea. Sie stand auf der klapprigen Aluleiter und machte sich an einer starr aus dem Fenster blickenden Waldschnepfe zu schaffen. „Ich komme mir hier vor wie in Alfred Hitchcocks Psycho.“
„Ist das der mit dieser Horrorvilla und der Messerszene in der Dusche?“
„Genau der. Fehlt nur noch, dass deine Tante Hedi im Keller mumifiziert im Rollstuhl sitzt. So wie die Mutter von Norman Bates im Film.“
„Hm. Wer weiß. Du solltest lieber abschließen, wenn du das nächste Mal unter die Dusche steigst.“
Svea grinste. „Bisher habe ich deinen Vater nicht für einen schizophrenen Psychopathen gehalten.“
„Aber er ist Spezialist für Mumien. Apropos: Weiß Martin, was ihr da macht?“
„Soll ’ne Überraschung werden“, erklärte Frida und packte die stocksteife Rohrdommel zu ihren Artgenossen, die reglos in einem Pappkarton auf dem großen geblümten Polstersessel kauerten und den muffigen Geruch von jahrzehntealtem frisch aufgewirbeltem Staub verbreiteten.
„Na, hoffentlich freut er sich.“ Ich schlurfte Richtung Müsli in die Küche und war insgeheim froh, dass ich Martin nicht höchstpersönlich davon überzeugen musste, Tante Hedis gefiederte Menagerie loszuwerden. Ich setzte mich mit der Müslischale auf dem Schoß auf den erbsengrünen Küchenstuhl, legte die Füße auf den gegenüber und verfolgte die fortschreitende Demontage an der Wand.
„Als nächstes Paul“, sagte Frida und zeigte auf einen Waldkauz, dem eines seiner gelb glühenden Augen fehlte. Offenbar wurden Tante Hedis Lieblinge allesamt noch schnell getauft, bevor sie in ihrem Pappsarg verschwanden. Ich schnappte mir die Sylter Rundschau vom Vortag, die auf dem Tisch lag, und freute mich schon auf Martins Reaktion, wenn ihm statt des gespenstischen Vogelgeschwaders an der Wand erwartungsvoll seine beiden eigensinnigen Hausgäste entgegenblicken würden. Das wollte ich auf keinen Fall verpassen.
Ich überflog die Schlagzeilen des dünnen Blattes mit den Insel-News. Auf den Lokalseiten fand ich es: „Schrader-Apotheke in Hörnum verwüstet“ lautete die Überschrift über dem zwei Spalten breiten Artikel, und die Empörung überdiese Freveltat sprang einem aus jedem Satz entgegen. Willem hatte recht gehabt. An Geld fehlte nichts, nur eine bestimmte Sorte Medikament, die nicht näher bezeichnet war. Die Apothekerin war sich nicht sicher. Um Viagra konnte es sich dabei jedenfalls nicht handeln, denn im Vordergrund des Fotos neben dem Artikel waren derartig viele Viagra-Packungen zu erkennen, dass man sich fragte, wozu solche Mengen auf der Insel benötigt wurden, und das allein in Hörnum. Hatte das mit der betagten, Schrägstrich, impotenten Klientel der beiden Nobelhotels zu tun, die dort seit kurzem die Skyline verhunzten, wie Martin meinte? Oder brauchte Willem es für seine explosive Emma? Vielleicht verfütterten sie das Zeug ja auch an die männliche Hälfte der Deichschafe? Damit den Edelrestaurants der Insel die gebratenen Salzlämmer nicht ausgingen. Und womöglich stand deshalb im Inselführer auf der letzten Seite: „Schafe: Achtung, freilaufend, Hunde bitte anleinen“. Die Hunde mussten vor wollüstigen Schafen geschützt werden und nicht die Schafe vor bissigen Hunden. Ich stellte mir eine Horde wild gewordener Schafe vor, die sich lüstern auf Jasper stürzten, und musste laut lachen. FANNY! STOPP!, rief ich mich zur Ordnung. Meine Fantasie war mal wieder auf Abwegen. Musste an meinen hormongesteuerten Eltern liegen.
Neben dem
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