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Tote essen kein Fast Food

Titel: Tote essen kein Fast Food Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Baron
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Und nachts schoss die Flak.“
    „Flak?“, fragte Jan.
    „Tja, das wisst ihr heute zum Glück allens nich mehr. Flugabwehrkanonen war’n das. Mit denen ham se auf die Bomber vom Engländer geschossen, wenn der aufm Weg nach Berlin war. Oder nach Hamburg.“ Hamburg. Es wurde Zeit, mich einzuschalten. Ich stand auf und setzte mich neben Jan, der weiter ans Fenster rutschte.
    „Moin“, sagte ich.
    „Moin, min Deern“, sagte Emma. „Und wer bist du?“
    „Fanny, aus Hamburg“, stellte ich mich vor. „Mein Vater hat mir erzählt, dass die meisten Bunker nach dem Krieg gesprengt wurden. Haben Sie als Kinder noch in den Trümmern gespielt?“ Willems Augen leuchteten auf, als seien sie von einem Sonnenstrahl getroffen worden.
    „Hamwa“, sagte er, „war verboten, aber hamwa trotzdem. Am Standort Puan Klent, da, wo das Schullandheim ist, kannten wir jeden Stein. Und in den geräumten MG-Nestern an der Dünenkante hamwa mit angeschwemmten Stöckern und Brettern vom Strand Scharfschützen gespielt.“
    „Was ist ein MG-Nest?“, fragte ich und stellte mir eine Art Seeadlerhorst vor.
    „Maschinengewehr-Schießstand“, erklärte Willem. „Sieben Stück gab es an der Westküste. Die hatten alle Frauennamen. Mit Anna fing’s an, oben bei List. Dann kamen Berta, Cäcilie und Dora. Und vor Puan Klent lagen Frida, Hilda und Inge. Allens streng nach Alphabet.“ Er grinste. „Nur Emma ham se ausgelassen.“ Mit seiner knorrigen Hand tätschelte er die runden geröteten Finger seiner Frau, als habe er es mit einem Hund zu tun. „Aber ich hab ja meine eigene Emma. Und die ist mindestens genauso explosiv.“ Emma lächelte nachsichtig.
    „Warum interessiert euch das?“, fragte sie. „Müsst ihr ein Referat schreiben, für die Schule? Normalerweise will heute niemand mehr was davon wissen. Wenn nicht gerade ein Bunker auf den Strand fällt. Dann kommen natürlich alle wieder gerannt. So wie vor vier Jahren bei Hörnum.“
    Ich sah Jan an, unsicher, ob ich mit der Wahrheit herausrücken sollte. „Ich wäre neulich fast in ein Betonloch gefallen“, sagte ich schließlich.
    „Wo?“ Willem legte den Kopf schief, kniff die Augen zusammen und funkelte mich aus seinen Aquamarinsplittern interessiert an.
    „In der Nähe von List“, erklärte ich vage. „Beim Strand.“
    Willem zuckte die Schultern. „Da kenn ich mich nich so aus“, sagte er. „Aber jede Menge Bunker da oben. Dass die jetzt als Touristenfallen da rumliegen …“ Er schüttelte den Kopf. „Obwohl“, er grinste spitzbübisch, „gar keine schlechte Idee. Wird immer voller hier.“
    „Und der bei Hörnum?“, schaltete Jan sich ein. „Der auf den Strand gefallen ist? Wir waren da gerade, aber von einem Bunker haben wir weit und breit nichts gesehen. Außer dem Keller vom Sansibar.“
    „Ach, das Sansibar“, sagte Willem verächtlich. „Allens Schickimicki. Viel Protz aufm Parkplatz und zu viele Pelzmäntel. Aber als Weinlager ist so’n Bunker praktisch. Fünfundzwanzigtausend Flaschen sollen da liegen.“
    „Den anderen vor Hörnum haben sie mit Baggern wieder eingebuddelt“, erklärte Emma. „War ein Riesending mit meterdicken Betonwänden. Aber die Touristen fingen an, drauf herumzuklettern, und das war einfach zu gefährlich.“
    „Das haben wir uns schon gedacht“, sagte Jan und sah mich an. Emma zupfte Willem Blaubär am Ärmel.
    „Aufstehen, Willem“, sagte sie resolut. „Wir sind schon in Westerland. An der nächsten Station müssen wir raus.“ Für ihr Alter erstaunlich standfest erhoben die beiden sich und gingen zur mittleren Bustür.
    „Schönen Tach noch, ihr zwei“, sagte Willem und hielt sich eisern an einer Stange fest. „Und passt auf, dass ihr nicht wieder in ein Loch fallt.“
    „Machen wir, und vielen Dank“, riefen wir hinterher. „War echt interessant.“ Dann waren die beiden in der Menge am Bahnhofsvorplatz verschwunden.
    „Frida“, sagte ich und ließ mich gegen die Rückenlehne fallen. „Ein MG-Nest namens Frida. Typisch.“
    „Hätte genauso gut Fanny heißen können“, sagte Jan. „So explosiv wie Frida bist du schon lange.“ Er grinste. „Und wie Emma erst recht.“
    Als ich abends im Bett lag und die unheimlich wabernden Schattenarme betrachtete, die das Licht der Straßenlaterne durch die Kiefer vorm Fenster auf die Zimmertapete warf, dachte ich darüber nach, wie er diesen Satz wohl gemeint haben könnte. War ich in seinen Augen eine Granate oder eher eine Art Rohrkrepierer? Ich

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