Tote essen kein Fast Food
einfach. Keinen Bock darauf, dass mich jemand erkennt. Aber die Gedanken sind frei. Leider. Dabei würde ich die wirklich gern einsperren. Und anbinden, in der hintersten Ecke meiner Gehirnwindungen an die Abteilung für Gefühle und dann knebeln, bis es sie würgt. Sie sollen die Klappe halten und nicht pausenlos mit ihren Monstrositäten auf mich einstürmen. Wieso gibt es eigentlich keinen Aus-Knopf für dieses mörderische Karussell im Kopf? Irgendwann muss doch mal Ruhe sein.
Kennst du das? Ich bin sicher, du kennst es.
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17
So wütend ich auch auf sie gewesen war, ich hatte Frida noch nie weinen sehen. Fast hätte ich selbst losgeheult, als ich ihre schmalen Schultern zucken sah, aber das hätte nun gar niemandem genützt. Während sie schon fünf Minuten vor ihrem Kidnapper herstolperte, wagte ich mich endlich aus meinem Versteck und kletterte mühsam an dem Knotenseil nach draußen. Noch nie war ich so froh gewesen, die salzige Seeluft zu atmen. Und jetzt? Ich stellte mir vor, wie Frida in diese feuchtkalte Katakombe zurückmusste und mit zusammengekniffenen Lippen trotzig gegen die Tränen kämpfte. Wie viel Angst sie haben musste. Wie sie an Svea denken würde. Und an Jasper, der sie gerade so schändlich im Stich gelassen hatte. Wieso war er einfach abgehauen? Und wo steckte er jetzt? War er überhaupt noch am Leben?
Ich begann zu laufen.
Auf dem Weg über den Strand zurück zur Strandhalle begegnete ich keiner Menschenseele. Verlassen lag der große Parkplatz vor mir. Bis auf einen riesigen Schaufelbagger, der im Lichtkegel der einzigen Straßenlaterne einen Schatten warf wie ein gefräßiges Urzeitmonster. Auch Martins Jeep stand nicht mehr da. Kein Wunder. Er und Svea mussten längst zu Hause sein. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich im Bunker gewesen war. Auf jeden Fall zu lange, schloss ich aus den vielen Sternen am Nachthimmel.
Ich checkte mein Handy. Wie erwartet: Martin hatte schon zigfach versucht, mich anzurufen.
Und gerade klingelte es wieder. „Fanny, wo steckst du, verdammt?“
„Hallo, Papa, endlich! Ihr müsst ganz schnell kommen …“
„Fanny, zum Teufel, wir hatten dir ausdrücklich gesagt, du sollst zu Hause warten, und jetzt … Ich hatte geglaubt, ich könnte mich auf dich verlassen. Und was soll diese absurde Geschichte auf meinem Handy: ‚Frida ist im Bunker‘?“
„Sie ist wirklich da, Papa. Kommt bitte ganz schnell her. Dann erklär ich euch alles.“
Unter einem fahlen Sichelmond ging ich ihnen auf der Straße nach List entgegen. Untätig herumstehen hielt ich nicht aus.
Weit kam ich nicht. Martin musste gefahren sein wie der Teufel, denn keine fünf Minuten später kam sein Jeep mit quietschenden Reifen vor mir zum Stehen. Und kaum waren Svea und Martin vor mir aus dem Auto gesprungen, beichtete ich ihnen schweren Herzens und mit einem verdammt schlechten Gewissen die ganze irre Geschichte. Nur das mit dem Gewehr ließ ich erst mal weg. Svea alarmierte die Polizei und die diensthabende Beamtin versprach, so schnell wie möglich ein oder zwei Streifenwagen zu schicken. Doch es kam etwas anders.
Plötzlich hörten wir aus dem Gebüsch ein klägliches Winseln, gefolgt von einem beherzten Sprung auf die Fahrbahn. „Jasper!“ Ich rannte meinem Hund entgegen. „Jasper! Wo warst du bloß?“
Mein sonst so unbekümmerter Boxer schien nicht mehr er selbst. Den türkisen Tampen hinter sich herschleifendkroch er auf mich zu und legte sein Knautschgesicht auf meine Füße. Während ich in die Hocke ging, blickte er mich von unten an, als wolle er sagen: „Sorry, ich hab’s komplett vermasselt.“
„Ich hab’s auch vermasselt“, sagte ich leise zu ihm, „aber so was von.“ Gott, war ich froh, dass er wieder da war. Sein Orientierungssinn glich nämlich eher dem einer gestrandeten Qualle als dem eines Hundes. Ich löste den Tampen um seinen Hals, in dem Reste von Strandhafer und Heidekraut hingen, und streichelte ihn. Svea sah jetzt völlig aufgelöst aus. Ihre Wimperntusche war verschmiert und der Pferdeschwanz glich einem traurigen Besen. „Jasper“, flüsterte sie und kniete sich vor ihn hin. „Wo ist sie? Wo hast du Frida gelassen?“
Als wir die blutverkrustete Bisswunde an seinem Ohr wahrnahmen, blickten wir uns nur an. Jetzt hätte ich am liebsten Jan angerufen, um nicht so allein zu sein mit meinem schlechten Gewissen. Zum Glück brauchte ich darüber nicht weiter nachzudenken, denn unvermutet tauchte plötzlich sein blonder Schopf an der
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