Tote essen kein Fast Food
Ich zog die Haustür hinter uns zu und lief voraus.
„Übertreibst du da nicht ’ne Spur? Es sei denn, du sprichst von meinen Fahrkünsten. Ich bin noch nie ein Motorrad mit Beiwagen gefahren.“
„Da haben wir Schwein gehabt. Svea hat das Teil gestern abmontiert, weil sie mit Martin eine Spritztour über die Insel machen wollte.“
„Oh, Mann, in deiner Gesellschaft bleibt einem aber auch nichts erspart.“
Statt einer Antwort küsste ich ihn auf die Nasenspitze.
Vielleicht hätte ich besser die Harley küssen sollen. Zur Ermunterung. Zweimal würgte Jan sie ab. Ich dachte schon, ich hätte ihm mein Vertrauen einen Tick zu früh geschenkt, doch nach dem dritten Fehlversuch röhrte der Motor von Sveas Maschine endlich los. Ich atmete tief durch, um meine Aufregung etwas in den Griff zu bekommen, und schlang meine Arme enger um Jans Brust. Drei Minuten später ließen wir den Ortsausgang hinter uns und sausten an Mellhörn und Westerheide vorbei gen Süden. Einunddreißig Kilometer bis Hörnum, las ich auf einem Verkehrsschild.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht, wie knapp alles werden würde. Und dass ich recht behalten würde mit meiner flapsigen Prophezeiung, es gehe um Leben und Tod …
22
Ohne Zwischenfälle und ohne dass wir die Aufmerksamkeit der übrigen Verkehrsteilnehmer oder gar der Polizei erregt hätten, fuhren Jan und ich so schnell wie nur möglich auf der L 24, der Hauptverkehrsader von Sylt. Seit wir den Bunker verlassen hatten, hatte sich der Himmel unmerklich immer mehr zugezogen und die Konturen der Landschaft verschwammen allmählich in einem diesigen Weiß. Die trutzigen Reetdächer von Rantum, die aus dem Nebel ragten wie ordentlich gekämmte Riesen mit Pagenkopffrisur, hatten wir bereits hinter uns gelassen. Wegen der verminderten Sicht drosselte Jan das Tempo, doch ich hatte ohnehin jedes Gefühl für die Geschwindigkeit verloren. Vorbei ging es an der Abbiegung zum Samoa mit der Strandsauna. Vorbei an der breiten Auffahrt zum Sansibar-Parkplatz, wo nun auch die dicksten Geländewagen nicht mehr zu sehen gewesen wären, hätten um diese Uhrzeit schon welche rumgestanden.
Es konnte nicht mehr weit sein zum Südende der Insel, und da bremste Jan die Harley auch schon ab, als das gelbe Ortsschild von Hörnum sich mehr erahnen ließ, als dass wir es gesehen hätten. Die paar Touristen, die in ihren Windjacken schon Richtung Bäcker unterwegs waren, und die Einheimischen drehten die Köpfe nach uns, als das satte Motorgeräusch von Sveas Easy-Rider-Kutsche uns voraus durchs Dorf blubberte.
Vor einem etwas trostlos aussehenden Café hielt Jan an und stützte uns mit seinem rechten Fuß auf dem Kantstein ab. Als ich das Visier von Fridas Helm hochklappte, griffen die klammen Finger des feuchten Seenebels nach meiner Haut und die Luft fühlte sich so buttermilchdick an, dass ich glaubte, meine Worte würden von ihr verschluckt, noch bevor sie Jans Ohren erreichten. Mit der rechten Hand deutete ich an seinem Kopf vorbei gen Westen. „Fahr so weit Richtung Odde, wie du kannst“, schrie ich. „Nicht am Leuchtturm vorbei. Andere Seite. Die Poller fangen ungefähr da an, wo der FKK-Strand liegt.“
Jan wendete die Maschine und wir brauchten satte vier Minuten vom Abzweig Odde Wei bis ans Ende der Straße Süderende, von wo aus ein schmaler Sandweg zum Strand führte. Der Himmel war jetzt von einem derart konturlos schmutzigen Weiß, dass es aussah, als hätte er komplett aufgehört zu existieren. Je mehr wir uns dem Strand näherten, desto undurchdringlicher wurde die Nebelsuppe. Wir stellten Sveas chromblitzende rote Harley am Beginn des Sandwegs ab und schon nach zehn Metern war sie im Nebel fast nicht mehr zu erkennen. Hand in Hand tasteten wir uns Richtung Poller voran. Das helle Nebellicht blendete uns, sodass wir die Augen zu Schlitzen zusammenkneifen mussten. Weit weg konnte die Sonne nicht sein. Die luftige Wand aus grauen Betonpollern sahen wir trotzdem erst, als wir unmittelbar vor ihr standen. Wie sollten wir da jemanden finden, der um keinen Preis gefunden werden wollte?
Dort, wo sich die Spuren unserer Schuhe in den weichen Untergrund drückten, waren die Tetrapoden noch dünn gesät. In einer langen unordentlichen Zweierreihe hatten siesich tief in den Sand gebohrt, als hätten ein paar Riesen mit ihnen Fang-den-Hut gespielt. Drohend und dunkelgrau von der Feuchtigkeit ragten ihre dicken, glatten Betonfinger vor uns auf, ineinander verkrallt, wie um sich gegenseitig
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