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Tote essen keinen Döner

Titel: Tote essen keinen Döner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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bevor er sich für den Radikalschnitt entschieden hat. Danach haben René und Pierre einen Kunden verloren und die Skinhäädszene einen Idioten gewonnen. Frisöre sind Lästermäuler, vielleicht kannst du ja dort was über Adolf erfahren.«
    »Ei ei, Sör, Don Osman in Äktschn!«, rufe ich.
    »Auf keinen Fall! In den Kreisen darf niemand erfahren, dass du Türke bist. Mit deinem starken Akzent taugst du aber auch nicht zu einem reinen Deutschen. Deshalb machen wir dich hiermit zu einem Russlanddeutschen. Ab sofort heißt du Wladimir und kommst aus Kasachstan.«
    »Okäy, ich bin Wladimir und komme aus Kasachstan, richtig so?«
    »Nicht ganz, in Deutschland haben die Behörden dir den Namen Waldemar verpasst, weil Wladimir nicht deutschkompatibel ist. Und du musst noch schlechteres Deutsch sprechen, als du es ohnehin schon tust.«
    »Ich Waldemar, ich kommen Kasachstan!«
    »Ja, das klingt schon relativ authentisch. Los, gib mir den Autoschlüssel, ich bringe dich gleich zum Frisör.«
     
    Ich sitze also auf diesem ungemütlichen Diseinerstuhl und starre in den großen Spiegel vor mir. Seit meinem letzten Besuch haben sich die Frisörläden doch reichlich verändert. Und zwar nicht nur, was deren Namen betrifft. Jetzt heißen sie alle ›Katter‹, ›Häädschop‹ oder ›Häirstaylist‹ usw. Früher hießen sie nur Frisörladen, und dort gab es |73| dann zwei alte, vergammelte Sessel, einen vergilbten Spiegel und jede Menge uralter Zeitungen. Zu meiner Zeit sind die Frisörläden einer nach dem anderen pleitegegangen, weil die Jugendlichen alle lange Haare hatten und kein normaler Mensch zum Frisör ging. Mit Sicherheit haben die Frisöre heutzutage vor nichts mehr Angst, als dass die Hippiemode wieder zurückkommt.
    Ich habe das Gefühl, in einem Kunstmuseum gelandet zu sein oder in einem edlen französischen Modehaus, wo die neueste Frühjahrskollektion entworfen wird. Dabei werden auch hier die Leute nur von ihren fettigen und schuppigen Haaren befreit. Ich fühl mich ausgesprochen unwohl. Der ganze Laden ist steril und kalt wie ein O P-Saal , wenn man von der nervigen Technomusik mal absieht.
    »Wie soll ich’s Ihnen denn machen?«, säuselt mir der René oder Pierre ins Ohr.
    »Ich hätte gerne eine Dauerwelle!«
    »Wie bitte, mein Herr?«
    »Ja, warum stellen Sie mir denn so blöde Fragen? Was kann ich mir denn mit meinen drei Flusen auf dem Kopf schon wünschen? Weg mit dem Gestrüpp!«
    »Alles weg?«
    »Ja. Radikaler Kahlschlag! Ich will so eine schicke Frisur haben wie mein netter Nachbar Adolf aus dem Karnickelweg. Kennen Sie den?«
    »Ach, sind Sie etwa der arme türkische Nachbar, von dem Adolf früher immer geredet hat?«
    »Nein, ich Wladimir. Ich deutsch, aber ich nicht sprechen gut deutsch. Ich kommen Kasachstan«, übe ich meinen russlanddeutschen Akzent in der Öffentlichkeit, wie Mehmet es mir empfohlen hat.
    |74| Als der Frisör sich wieder entfernt, ergreift Mehmet sofort die Gelegenheit, sich mal wieder über sein Lieblingsthema auszulassen: »Ach Vater, ich bin ja so enttäuscht von meinen ehemaligen Genossen aus Russland und aus der DDR. Die sind entweder rechts oder ultrakonservativ. Im besten Fall haben sie überhaupt keine Ahnung von Politik. Es ist zum Heulen. Die glorreiche, mächtige, große Sowjetunion und auch die DDR scheinen keinen einzigen echten Kommunisten hervorgebracht zu haben. Fünfzig Jahre lang haben die beiden Länder hier im Westen Werbung für den Sozialismus gemacht, mit Sprüchen wie ›Völkerfreundschaft‹ und ›Hoch die internationale Solidarität‹ und so. Aber davon ist anscheinend nichts bei der eigenen Bevölkerung angekommen. Offenbar war alles nur für den Export gedacht.«
    »Mehmet, das hab ich dir ja schon immer gesagt. Schön, dass du es endlich auch verstanden hast! Als die Russen die DDR freigelassen haben, waren wir ja hier erst mal alle hocherfreut. Und dann umso schockierter, als wir bemerkt haben, wie viele ausländerfeindliche Leute da drüben waren, obwohl die in der DDR doch niemals einen anständigen Gastarbeiter zu Gesicht bekommen haben.« »Aber das heißt nicht, dass die Idee des Sozialismus falsch ist. Vielmehr sind nur die egoistischen und habgierigen Menschen in ihrer Dummheit dafür ungeeignet. Ich bin wirklich drauf und dran zu glauben, dass nur Bienen und Ameisen kommunismustauglich sind!«
    Der Frisör schleppt plötzlich einen großen Apparat herbei. Bei näherem Betrachten entpuppt sich das Ding als ein Waschbecken. Früher

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